Alles Bologna oder was?

Bologna-Prozess

Im malerischen Bologna – einer der ältesten Universitätsstädte Italiens und Heimat sowohl der Tortellini als auch der Mortadella – wurde 1999 eine Erklärung unterzeichnet, die das europäische Hochschulwesen grundlegend reformieren sollte. Die weitreichenden Auswirkungen der sogenannten „Bologna-Reform“ betreffen inzwischen (fast) jeden Studienanfänger. Aber was genau wurde in Bologna eigentlich vereinbart – und zu welchem Zweck?

Bologna Prozess Studium bikablo

Einer der wesentlichen Ausgangspunkte der Bologna-Erklärung ist die zwei Jahre zuvor verabschiedete Konvention von Lissabon, über die sich bis heute 48 europäische Staaten zu einer prinzipiellen gegenseitigen Anerkennung von Studienabschlüssen verpflichtet haben. Die Notwendigkeit für diesen historischen Schritt in Richtung einer Harmonisierung der europäischen Hochschullandschaft, ist auf das immer stärkere Zusammenwachsen des europäischen Wirtschaftsraumes seit den 1980er Jahren zurückzuführen. Unternehmen, die Mitarbeiter aus anderen Staaten anwerben und Studierende, die ein oder mehr Semester an einer Hochschule im Ausland verbringen wollten, sahen sich mit dem Problem konfrontiert, dass die in einem Land erzielten Abschlüsse oder Studienleistungen in einem anderen Land nicht oder nur anteilig anerkannt wurden. Tatsächlich konnte die Anerkennung in der Praxis nicht nur zwischen Ländern, sondern sogar zwischen einzelnen Hochschulen stark voneinander abweichen – ein unhaltbarer Zustand, dem durch die Konvention von Lissabon, die auf diese folgende Sorbonne-Erklärung (1998) und ultimativ durch die Bologna-Erklärung und den Bologna-Prozess abgeholfen werden sollte.

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Während in der Konvention von Lissabon zunächst nur vereinbart wurde, dass Studienabschlüsse und Hochschulzugangsberechtigungen anderer Staaten anzuerkennen sind, solange keine gewichtigen Gründe dagegen sprechen, wurde in der Sorbonne-Erklärung bereits das Ziel formuliert, die Hochschulsysteme der vier unterzeichnenden Staaten Italien, Frankreich, Deutschland und Großbritannien schrittweise aufeinander anzupassen – ein Ziel, das letztlich durch den Bologna-Prozess erreicht werden konnte. Seit 1999 finden alle zwei Jahre weitere Konferenzen statt, in deren Rahmen sich die Bildungsminister der beteiligten Länder über den Fortgang des Prozesses verständigen.

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Um zu verstehen, was genau sich „durch Bologna“ geändert hat, muss man sich mit den drei wesentlichen Subzielen dieses Prozesses auseinandersetzen: Der Herstellung der internationalen Vergleichbarkeit von Studienabschlüssen, der Verbesserung der Mobilität während des Studiums sowie der Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit von Absolventinnen und Absolventen.

Erstens – Bachelor- und Master-Abschlüsse: Um die Vergleichbarkeit der Studienabschlüsse zu gewährleisten, wurde in allen beteiligten Staaten ein zweistufiges Studienabschlusssystem nach angloamerikanischem Vorbild mit Unterscheidung in „undergraduate studies“ (erster Hochschulabschluss) und „graduate studies“ (aufbauender Hochschulabschluss) eingeführt, wobei in vielen Fällen auch eine Übernahme der ebenfalls aus dem angloamerikanischen Raum stammenden Bachelor- und Master-Abschlüsse erfolgte. Die Schaffung gleichnamiger und unter (in etwa) gleichen Bedingungen erreichbarer Abschlüsse soll es Absolventinnen und Absolventen erleichtern, sich unter Anerkennung ihrer beruflichen Qualifikationen auf dem europäischen Arbeitsmarkt zu bewegen. Darüber hinaus soll die Anpassung es auch Studierenden ermöglichen, nach einem ersten akademischen Abschluss in einem europäischen Land ohne größere bürokratische Hindernisse einen aufbauenden Abschluss in einem anderen europäischen Land anzustreben.

Zweitens – European Credit Transfer System: Damit Studierende sich auch während des Studiums innerhalb des europäischen Hochschulsystems frei bewegen können, müssen nicht nur Studienabschlüsse, sondern auch einzelne Studienleistungen vergleichbar und vor allem zwischen den Hochschulen übertragbar sein. Dies wurde durch die Einführung des European Credit Transfer Systems (ECTS) erreicht. In Abhängigkeit vom Studienaufwand (u. a. Anzahl der Vorlesungen, Zeit für Vor- und Nachbereitung, Art und Umfang von Prüfungsleistungen) vergibt jede Hochschule ECTS-Punkte für bestandene Kurse, die wiederum von den Studierenden an jede andere Hochschule mitgenommen und dort als extern erbrachte Studienleistung angerechnet werden können.

Drittens – Akkreditierung von Studiengängen: Um Studieninhalte und den Wert der neuen Abschlüsse für potentielle Arbeitgeber transparenter zu machen, und damit die Beschäftigungsfähigkeit (die sogenannte „Employability“) der Absolventinnen und Absolventen zu verbessern, werden Studiengänge durch externe Agenturen begutachtet und akkreditiert, wobei nur in akkreditierten Studiengängen erworbene ECTS-Punkte und Abschlüsse transferierbar sind. Für diese Akkreditierung werden die Studieninhalte und Lernziele aller Vorlesungen dokumentiert, so dass auch Studierende sich vor der Belegung eines Kurses detailliert darüber informieren können, was genau sie erwartet.

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Für das deutsche Hochschulwesen stellte der Prozess der Harmonisierung von Studienabschlüssen einen fundamentalen Eingriff in historisch gewachsene Strukturen dar, der von zahlreichen Interessensgruppen aus unterschiedlichen Gründen abgelehnt und über viele Jahre teils heftig bekämpft wurde. Einer der dabei häufig vorgebrachten Kritikpunkte, betraf den befürchteten Bedeutungsverlust international bekannter deutscher Studienabschlüsse wie etwa des Diplom-Ingenieurs, die seit vielen Jahrzehnten insbesondere im angloamerikanischen Wirtschaftsraum ein hohes Renommee genießen. Scharf angegriffen wurde außerdem die wahrgenommene „Verschulung“ vieler Studiengänge, durch die für eine internationale Vergleichbarkeit erforderliche Festschreibung von Studieninhalten im Rahmen der Akkreditierung. Diese wird von Kritikern des Bologna-Prozesses sowohl als Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Lehre als auch als Anreiz zur Verringerung der studentischen Selbst- und Eigenständigkeit und damit zur Senkung des allgemeinen Studienniveaus verstanden. Inzwischen bieten einige Hochschulen, wie etwa die TU Freiburg, wieder „klassische“ Diplom-Abschlüsse an – allerdings nur zusätzlich zu den verpflichtenden Bachelor- und Master-Abschlüssen.

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Auch heute – mehr als zehn Jahre nach dem Start der ersten Bachelor- und Master-Studiengänge in Deutschland – sind die Ergebnisse der Bologna-Reform nach wie vor umstritten. Feststehen dürfte jedoch, dass es ein Zurück zum früheren System jenseits kleinerer Änderungen wohl nicht mehr geben dürfte. Die europäische Hochschullandschaft wird somit auch in den nächsten Jahrzehnten weiter zusammenwachsen – und das ist auch gut so.

Illustration: Ellen Burgdorf auf Basis von bikablo

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