Seite ist nicht gleich Seite

Wie viele Buchstaben oder Wörter passen auf eine Seite? Unter diesem Blickwinkel ist die Mengenangabe „Seite“ höchst unbestimmt. Dieser Beitrag thematisiert die Möglichkeiten einer quantitativen Messung des Umfanges einer wissenschaftlichen Arbeit.

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Die Seite ist eine höchst unbestimmte Maßeinheit

Wenn wir hier von Seite sprechen, dann ist immer das DIN A4 Format gemeint, denn diese Größe ist der Standard bei wissenschaftlichen Arbeiten. Auf einer Fläche von 297 mm (Höhe) und 210 mm (Breite) passen aber unterschiedlich viel Informationen in Form von Buchstaben, Wörtern oder Zahlen. Zur Erstellung von Seminar-, Bachelor- oder Masterarbeiten werden Textverarbeitungsprogramme wie Word oder Latex eingesetzt und diese halten zahlreiche Optionen für das Layout bereit. Die Einstellungen bezüglich Seitenränder, Schriftart, Schriftgröße, Silbentrennung und Zeilenabstand wirken sich auf den Seitenumfang aus. Um das Ausmaß der Auswirkungen zu veranschaulichen, führen wir ein kleines Experiment durch. Wir konstruieren mit dem Programm Word zwei verschiedene Layouts (A und B) und befüllen die beiden Dokumente mit der gleichen Textmenge. Zur Erzeugung von Beispieltext benutzen wir den Wordbefehl =rand(1,1000). Dieser Text enthält genau 17.051 Wörter, die im Fall A und B aber höchst unterschiedlichen Platzbedarf haben, wie die folgende Tabelle und die Abbildung zeigen.

Layout-EinstellungenFall AFall B
Seitenränder2 cm3,5 cm
SchriftTimes New RomanCentury Schoolbook
Schriftgröße1112
ZeilenabstandEinfach1,5
SilbentrennungJaNein
Seitenzahl2259

Tabelle 1: Benötigte Seitenzahl für 17.051 Wörter bei unterschiedlichen Layouts

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Abb. 1 Vergleich der Seiten mit Layout A und B

Aufgrund der Layout-Einstellungen ist der Seitenumfang im Fall B im Vergleich zu Fall A etwa 2,7-mal größer. Dieses konstruierte Beispiel zeigt, dass die alleinige Verwendung von Seitenzahlen zur Bestimmung des Umfanges ziemlich unsinnig ist. Werden Seitenzahlen als Vorgabe für die Länge von wissenschaftlichen Arbeiten gemacht, müssen gleichzeitig zumindest die Basiseinstellungen wie Seitenränder, Schriftart, Schriftgröße, Silbentrennung und Zeilenabstand vorgegeben werden. Hinzu kommen aber noch weitere Einflussgrößen auf die benötigte Seitenzahl. Insbesondere die Anzahl der Grafiken, Tabellen und Bilder beeinflusst den Seitenumfang. Die Zitierweise (Fußnoten oder im Text) hat ebenfalls Auswirkung auf den benötigten Platzbedarf.

Die Normseite ist keine Lösung

Könnte man definieren, wie viele Zeichen eine Seite aufnehmen kann, dann läge eine genormte und damit objektive Bezugsgröße vor. Tatsächlich gibt es das Konzept einer Normseite, die aber leider für unsere Zwecke nicht geeignet ist. Die Normseite stammt aus der Ära der Schreibmaschinen. Eine Normseite ist mit 60 Anschlägen pro Zeile und 30 Zeilen pro Seite definiert. Somit können pro Blatt 1.800 Anschläge untergebracht werden. Die Normseite hat im Verlagswesen immer noch eine große Bedeutung. Autoren, Lektoren oder Übersetzer werden häufig nach Anzahl der Normseiten bezahlt. Für wissenschaftliche Arbeiten ist die Normseite  ungeeignet. Ein Grund liegt in der Tatsache begründet, dass die Leerräume nicht erfasst werden. Gemeint sind nicht die Leerzeichen, sondern die Räume am Ende einer Zeile und ganze Leerzeilen. Schauen wir uns dazu die Konstruktion der Normseite an. Auf der Internetseite vom Literaturcafe kann eine Wordvorlage für die Erzeugung einer Normseite heruntergeladen werden. In diese Datei haben wir in der ersten Zeile Zahlen eingefügt, die genau die 60 Anschläge der Normseite darstellen. In der zweiten Zeile ist der Beginn des schon bekannten Beispieltextes (siehe oben, Fall A und B) eingefügt. Diese zweite Zeile besteht aus 6 Wörtern und 44 Zeichen (ohne Leerzeichen) bzw. 50 Zeichen (mit Leerzeichen). Der Raum am Ende der Zeile 2 nach dem Wort „zur“ wird nicht miterfasst. Word kann diesen Leerraum nicht registrieren. Somit sind in der zweiten Zeile 16 bzw. 10 Zeichen weniger vorhanden, als Anschläge in Zeile 1.

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Abb. 2 Konstruktion einer Normseite

Die Konstruktion der Normseite liefert also keine genaue Angabe über die Zeichenzahl eines Textes. Aber eben diese Information wäre für verschiedene Zwecke sehr wichtig. Die Verwertungsgesellschaft Wort (eine Organisation, die Tantiemen aus Zweitverwertungsrechten an Autoren ausschüttet) operiert mit 1.500 Zeichen (inklusive Leerzeichen) pro Normseite. Erzeugen wir also einfach mal einen Text mit 1.500 Zeichen und fügen ihn in eine Datei mit einem für eine wissenschaftliche Arbeit realistischen Layout ein. Dazu bedienen wir uns der Vorgaben aus einem unserer früheren Beiträge. Das Ergebnis (Abbildung 3) zeigt, dass nicht einmal die Hälfte der Seite ausgefüllt ist. Wie bereits erwähnt, wurde die Normseite für Schreibmaschinen entwickelt. Die Buchstaben waren damals größer als die heutige übliche Schriftgröße und es war vor allem keine Proportionalschrift. Proportionalschrift kann mit einer mechanischen Schreibmaschine nicht realisiert werden. Das bedeutet, ein „m“ benötigt bei einer Schreibmaschine genauso viel Platz wie ein „i“.

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Abb. 3 Zeichenzahl (1.500) einer Normseite

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass das Konstrukt der Normseite zur Bestimmung des Umfanges einer wissenschaftlichen Arbeit nicht geeignet ist. Wer mehr zu Normseiten wissen möchte, dem seien die Artikel von Isabel Bogdan und Literaturcafe empfohlen.

Zeichen sind der beste Maßstab

Zeichen sind die kleinste Informationseinheit im Schreibprozess und liefern daher als quantitativer Maßstab die genauesten Ergebnisse. Sie sind objektiv und zudem mit einem Textverarbeitungsprogramm auf Knopfdruck ausweisbar. Als Alternative bieten sich Wörter an. In einigen Prüfungsordnungen, wie die für die Studiengänge der philosophischen Fakultät der Heinrich Heine Universität Düsseldorf, (S. 13), wird dies auch so praktiziert. Nach diesen Vorgaben soll eine Bachelorarbeit 9.000 bis 15.000 Wörter umfassen. Wörter haben aber einen entscheidenden Nachteil: Sie sind in verschiedenen Sprachen unterschiedlich lang. In einer Untersuchung eines Abschnitts der EU-Verfassung, der in Deutsch, Englisch und Französisch vorliegt, errechnete sich eine Wortlänge von 6,53 Zeichen in Deutsch und nur 5,25 Zeichen in Englisch sowie 5,48 in Französisch. Aus einem deutschen Wort wie der „Nockenwellenlagerdichtung“ werden im Englischen drei Wörter (camshaft bearing seal) und im Französischen sogar sieben Wörter: „joint de palier d’arbre à cames“ (Ahting und Berger 2006, S. 10). Bei einer Bemessungsgrundlage auf Basis der Wortzahl würden Studierende, die ihre wissenschaftliche Arbeit in Englisch oder Französisch verfassen, benachteiligt. Studiengänge, die Bachelor- oder Masterarbeiten in verschiedenen Sprachen zulassen, sollten also nicht Wörter als Maßstab wählen.

Wir schlagen vor, Zeichen als Grundlage der quantitativen Bestimmung einer wissenschaftlichen Arbeit zu nehmen. Eine Bachelorarbeit könnte auf 70.000 Zeichen (mit Leerzeichen) festgelegt werden, so wie dies Prof. Herz von der Uni Bayreuth  oder das ISTO an der Ludwig-Maximilians-Universität München praktizieren. Es sollte nur der Hauptteil der wissenschaftlichen Arbeit ohne Verzeichnisse und Anhang gemessen werden. Würde das Literaturverzeichnis mitgezählt, dann hätten Studierende, die viele Quellen benutzen, weniger Platz für ihren Text als nicht so fleißige Kandidaten.

Bleibt die Frage zu klären, wie viele Seiten denn aus den 70.000 Zeichen werden? Die beiden zuvor genannten Quellen operieren bei den Bachelorarbeiten mit 2.333 Zeichen pro Seite (Prof. Herz) bzw. 2.593 Zeichen (ISTO). Die Technische Universität Dortmund bewegt sich mit 2.500 Zeichen (dort Anschläge genannt, S. 23) ebenfalls in dieser Dimension. Probieren wir es selber mal aus und verwenden die bekannten Einstellungen und den schon zuvor verwendeten Mustertext. Es wurden drei Überschriften unterschiedlicher Ordnung und drei Fußnoten eingefügt, um eine typische Seite einer Bachelorarbeit nachzubilden. Wir kommen zu dem Resultat, dass die Seite genau 2.416 Zeichen (inkl. Leerzeichen) enthält (Abb. 4). Im Ergebnis kann die runde Zahl von 2.500 Zeichen pro Seite als ein guter Richtwert angesehen werden, um aus der Zeichenzahl auf die Seitenzahl zu schließen.

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Abb. 4 Seite einer fiktiven Bachelorarbeit mit 2.416 Zeichen

Eine quantitative Regelung auf Basis von Zeichen könnte insgesamt wie folgt aussehen:

Wissenschaftliche ArbeitZeichen (inkl. Leezeichen)Approximative Seitenzahl
Haus- / Seminararbeit25.00010
Bachelorarbeit70.00028
Masterarbeit112.50045

Tabelle 2: Vorschlag für eine quantitative Begrenzung auf Basis von Zeichen

Selbstverständlich muss den Studierenden ein sanktionsfreier Toleranzwert bei der Zeichenzahl eingeräumt werden, der beispielsweise bei Plus-Minus 10 Prozent liegen könnte.

Fazit

Zeichen sind der geeignetste Maßstab zur quantitativen Eingrenzung einer wissenschaftlichen Arbeit. Die Seitenzahl ergibt sich als abgeleitete Größe aus der Zeichenzahl und kann je nach Gestaltung der Arbeit differieren. Wenn die Seitenzahl nicht der limitierende Faktor ist, eröffnet sich dem Schreibenden gestalterischer Spielraum in Bezug auf den Satzspiegel oder die Schriften (siehe hierzu auch unseren Artikel über Schriften). Ob es aber überhaupt sinnvoll ist, eine quantitative Regelung für wissenschaftliche Arbeiten einzuführen, steht auf einem anderen Blatt. Es gibt Stimmen, wie die von Prof. Bry, die es nicht für sinnvoll halten. Darüber kann man sicherlich diskutieren.

Quellen

Ahting, Klaus; Berger, Tilman V. (2006): Hier steht Wort gegen Zeile: Angemessene Berechnung von Übersetzungen. In: interaktiv, S. 10–14.

Bogdan, Isabel (2013): Warum 30 x 60 nicht 1800 ergibt. Oder: die Normseite. URL: http://isabelbogdan.de/2013/01/23/warum-30-x-60-nicht-1800-ergibt-oder-die-normseite/, Stand: 24.08.2016.

Bry, François: Bachelor-Arbeit in 50.000 bzw. 30.000 Zeichen. URL: https://www2.pms.ifi.lmu.de/erlebt/?p=1359, Stand: 24.08.2016.

Heinrich Heine Universität Düsseldorf (2013): Ordnung für die Prüfung in Studiengängen der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit dem Abschluss Bachelor of Arts. URL: https://www.uni-duesseldorf.de/redaktion/fileadmin/redaktion/Fakultaeten/Philosophische_Fakultaet/Germanistik/Dateien_Germanistik/BPO_Fassung_website_24.09.13.pdf, Stand: 24.08.2016.

Herz, Bernhard (o.J.): Formale Anforderungen an eine wissenschaftliche Arbeit. Universität Bayreuth Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Professor Dr. Bernhard Herz. URL: http://www.giw.uni-bayreuth.de/data/AnforderungenaneineDiplomSeminarHausarbeit_Juli2007.pdf, Stand: 24.08.2016.

ISTO Institut für Strategie, Technologie und Organisation an der LMU München (2012): Formvorschriften für Seminar- und Abschlussarbeiten. URL: http://www.isto.bwl.uni-muenchen.de/download/lehre/formvorschriften_de.pdf, Stand: 24.08.2016.

Literaturcafe (2006): Die Normseite: Dokumentvorlagen zum Download für Ihre Textverarbeitung (Word/OpenOffice/ LibreOffice/Pages). URL: http://www.literaturcafe.de/normseite-dokumentvorlage-download/, Stand: 24.08.2016.

Literaturcafe (2012): Aufgeklärt: Fünf Missverständnisse über die Normseite und eine Bonusfrage. URL: http://www.literaturcafe.de/aufgeklaert-fuenf-missverstaendnisse-ueber-die-normseite/, Stand: 24.08.2016.

Technischen Universität Dortmund (2014): Prüfungsordnung für den Bachelorstudiengang Rehabilitationspädagogik der Fakultät Rehabilitationswissenschaften an der Technischen Universität Dortmund vom 16. Oktober 2014. URL: http://www.tu-dortmund.de/uni/studierende/pruefungsangelegenheiten/ord/fachba_ma/02_-PO_BA_Rehabilitationspaedagogik.pdf, Stand: 24.08.2016.

Verwertungsgesellschaft Wort (o. J.): Fach- und Sachbücher. URL: http://www.vgwort.de/verguetungen/auszahlungen/wissenschaftliche-publikationen/fach-und-sachbuecher.html, Stand: 24.08.2016.

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