Start-ups kennen das Problem: Die Produktidee hat Partner, Banken und Investoren überzeugt, der Businessplan steht – über konkrete Marketingaktivitäten steht da allerdings meist nicht viel drin – und nun heißt es, die Markteinführung zu planen. Nicht selten führt das zu schier endlosen Diskussionen des Gründungsteams, allerdings ohne greifbare Ergebnisse. Meine Empfehlung: Gliedern Sie als Gründer oder Gründerin Ihre Planungsüberlegungen in fünf Schritte, und nutzen Sie dabei bewährte Modellansätze der Marketingplanung.
Ich möchte Ihnen zeigen, wie Ihnen fünf Modelle helfen können, Marketingprobleme und -chancen klarer zu sehen. Marketingmodelle liefern zwar keine automatisch richtigen Entscheidungen, sie fördern aber lösungsorientiertes, strategisches Denken: Der ganze Wust von planungsrelevanten Informationen wird durch sie auf die wesentlichen Einflussgrößen reduziert und einer rationalen Bewertung zugänglich gemacht. So sind sie sind nicht nur für große Unternehmen, sondern auch für Gründungsunternehmen oder im Small Business nützliche „Intelligenzverstärker“ bei der Marketingplanung.
Die fünf Modelle gehören zu den Marketing-Basics. Insbesondere in der „Vorplanungs“-Phase verhindern die von mir hier vorgeschlagenen stark vereinfachten Versionen, dass sich Start-ups bei der Diskussion über Marketingchancen und -risiken verzetteln. Da man in der Regel in dieser Phase noch nicht auf detaillierte Unternehmens- und Marktdaten zurückgreifen kann, muss man mit subjektiven Einschätzungen arbeiten. Für erste Planungsüberlegungen sollte das aber ausreichen, sofern man sich mit den Marktgegebenheiten zumindest grob vertraut gemacht hat. Weitere Voraussetzung für den Modelleinsatz sind Grundkenntnisse des Marketings. (Lesetipp: Unser Buch „Strategisches Life Management“ enthält eine kurze praxisorientierte Einführung ins Marketing speziell für Gründungsunternehmen.)
Mutter aller Marketingmodelle ist das Konzept des Produktlebenszyklusses (PLZ). Nahezu alle Fragen des Marketings lassen sich aus dem Produktlebenszyklus ableiten. Mit ihm sollten Sie bei Ihren Strategiediskussionen starten.
Der Grundgedanke des PLZ-Modells ist einfach:
Produkte werden geboren, gemessen am Umsatz wachsen, reifen und vergehen sie, ähnlich wie Lebewesen. Der PLZ folgt jedoch keinem Naturgesetz; Produktlebenszyklen werden durch Marketing initiiert und gesteuert. Mit anderen Worten: Marketing ist die systematische Planung und Beeinflussung von Produktlebenszyklen mit Hilfe der Marketinginstrumente.
Ein Produktleben kann sehr lang sein: mehrere Jahrzehnte wie bei Coca Cola und Persil – oder kurz, mitunter nur Monate, wie bei modischen Produkten. Zwischen der „Geburt“ (Markteinführung, engl. Launch) bis zum „Tod“ (Aufgabe des Produkts) absolvieren Verkaufszahlen eine Berg- und Talfahrt, die ganz unterschiedlich verlaufen kann. Man unterscheidet vier Phasen:
Die gedankliche Beschäftigung mit dem Lebenszyklus eines Produkts motiviert, über den Tag hinauszudenken:
Malen Sie sich als Gründer oder Gründerin aus, wie Ihr Geschäft in zwei, drei oder fünf Jahren aussehen könnte. Lassen Sie Ihre Phantasie spielen: Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung ist von den Kunden angenommen worden, die Umsätze steigen. Ihr Unternehmen ist den Kinderschuhen entwachsen. Schließen Sie die Augen und genießen Sie Ihr Kopfkino, bis es im Bauch kribbelt. Ein derartiges Mentaltraining ist der Schlüssel für die Erfolge vieler Sportchampions: Visualisierungen mobilisieren die für Emotionen zuständigen Gehirnareale und können damit die Motivation enorm beflügeln. Wunschträume sind erlaubt; sie helfen, Ihr inneres Feuer zu wecken. Eine Frage bleibt allerdings: Wie realistisch ist Ihre Vision?
Können Sie das erreichen, was Sie erreichen wollen? Verfügen Ihr Unternehmen und Ihr Produkt über die hierfür erforderlichen Stärken und Fähigkeiten? Ist der Markt reif für Ihre Geschäftsmodell? Stößt Ihr Produkt in eine ausbaufähige Marktlücke? Mit welchen Marktentwicklungen müssen Sie rechnen? Alles Fragen, deren Beantwortung Ihnen die sog. SWOT-Analyse erleichtert.
Wie groß sind Ihre Aussichten, später zu den Gewinnern im Markt zu gehören? Gerade in der euphorischen Phase der Vorgründung ist die Gefahr groß, sich die Zukunft eines Unternehmens schön zu malen. Verständlich, aber natürlich brandgefährlich. Nur die schonungslose Aufdeckung der Schwächen des Unternehmens und der Risiken des Marktes hilft wirklich weiter.
Beginnen Sie mit der Einschätzung der Attraktivität des Marktes bzw. des Segments (also Ihres Zielmarktes), in dem Sie Fuß fassen wollen: Welche Chancen und welche Risiken sind in Ihrem Zielmarkt erkennbar? Wie stark ist das Marktwachstum? Welche Gewinne winken in der Branche? Wie hoch sind die Marketinganforderungen? Wie ist das Verhalten der Konkurrenten untereinander? Welche gesetzlichen oder technischen Entwicklungen sind absehbar? Die Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen erlaubt es, die Zielmarktattraktivität zusammenfassend zu beurteilen (z. B. „schlecht“, „durchschnittlich“, „gut“ oder „ausgezeichnet“).
Als nächstes beurteilen Sie die Stärken und Schwächen Ihres Unternehmen bzw. Geschäftsmodells (bezüglich des Produktnutzens, der Servicequalität, des Preisniveaus, des Know-hows usw.) im Vergleich mit der Konkurrenz. Wie schneidet Ihr Geschäftsmodell insgesamt gesehen dabei ab? Schlecht, durchschnittlich, gut oder ausgezeichnet?
SWOT-Analyse: Stärken (Strengths) und Schwächen (Weaknesses) des Unternehmens werden in Beziehung zu den Chancen (Opportunities) und Risiken (Threats) des Marktes gesetzt.
Für Start-ups wäre eine SWOT-Analyse zum Gründungszeitpunkt außerordentlich spekulativ. Noch fehlen viele der erforderlichen Informationen. Aber mit den vier grundsätzlich möglichen strategischen Positionen eines Unternehmens könnten Sie sich schon vertraut machen, auch wenn Sie sich noch in den Startlöchern befinden:
Und was tun schwache Unternehmen in unattraktiven, risikoreichen Märkten (Verlierer oder „Loser“)?
Winner, Dreamer, Sleeper oder Loser – die Bestimmung der zukünftigen Position des Unternehmens im Markt kann für Gründer und Gründerinnen manchmal zu ziemlich ernüchternden Ergebnissen führen. Doch Hoffnung gibt es immer: Auch aus vermeintlichen Losern sind schon Gewinner-Unternehmen geworden (umgekehrt gilt allerdings das Gleiche). Entscheidend ist es, rechtzeitig die Weichen neu zu stellen.
Damit komme ich zum dritten Marketingmodell, der Gap-Analyse.
Gründungsunternehmen sollen natürlich von Anfang an in Richtung Erfolg marschieren. Und damit das so bleibt, müssen Marktattraktivität und Unternehmenssituation regelmäßig überprüft werden, zum Beispiel mit Hilfe dieser Fragen:
„Wie sähe die Situation unseres Unternehmens in ein paar Jahren vermutlich aus, wenn wir mit unserem Marketing so weitermachten wie bisher? Könnten wir mit den Umsätzen und Gewinnen zufrieden sein, oder sind wir dabei, in eine Krise zu schlittern?“ (In Abb. 3 ist das der Kurvenverlauf A.)
„Was müssten wir tun, um die Lücke (engl. Gap) zwischen den hochgerechneten Werten und den zur Unternehmenssicherung erforderlichen Zielen zu schließen (Kurvenverlauf B)?
Aus der Produkt-Markt-Matrix (auch bekannt als Ansoff-Schema) lassen sich Fragen ableiten, wie Wachstumslücken geschlossen werden könnten. Zum Beispiel:
Sollten wir versuchen, unser Angebot neuen Käuferschichten bzw. in neuen Märkten zu verkaufen? Lohnt es sich, unseren derzeitigen Kunden neue Produkte anzubieten? Sollten wir unser Kerngeschäft aufgeben oder durch ein zweites Geschäftsfeld ergänzen? Können wir das Risiko einer Diversifikationsstrategie eingehen? Oder haben wir die Möglichkeiten unserer gegenwärtigen Strategie noch gar nicht voll ausgeschöpft?
Dass Start-ups sich in erster Linie auf die Gründungs- und die Markteintrittsphase fokussieren, ist verständlich und auch richtig. Dennoch sollten sie nicht versäumen, rechtzeitig auch über Entwicklungschancen nachzudenken. Wachstumsgrenzen werden mitunter schneller erreicht, als ursprünglich angenommen. Gründungsunternehmen sollten, trotz aller Anfangserfolge, darauf vorbereitet sein.
Die Vielzahl marketingpolitischer Möglichkeiten die es zur Vermeidung von Wachstumskrisen gibt, wird von Gründungsunternehmen nicht immer überblickt. Die Produkt-Markt-Matrix versucht, durch eine systematische Analyse die Entscheidungsfindung zu erleichtern.
Die Produkt-Markt-Matrix geht von der Fragestellung aus, wo für das Unternehmen die zukünftigen Wachstumschancen und Ertragpotenziale liegen könnten:
Marktdurchdringungsstrategie
Reichen die gegenwärtigen Produkte und Zielmärkte für das Wachstum aus? Dann bietet es sich an, die Werbe- und Vertriebspower zu intensivieren („Business as usual“, aber schlagkräftiger).
Marktentwicklungsstrategie
Sollten mit den gegenwärtigen Produkten neue Zielmärkte erschlossen werden, weil das Wachstum im Kerngeschäft so gut wie ausgereizt ist? Die Gewinnung neuer, zukunftsträchtiger Zielgruppen oder der Export in andere Länder müsste in Angriff genommen werden.
Produktentwicklungsstrategie
Sind die gegenwärtigen Zielmärkte bzw. Kundengruppen aufnahmebereit für neue Produkte? In diesem Falle empfiehlt es sich, das Angebotsprogramm durch neue Produkte zu ergänzen.
Diversifikationsstrategie
Sollte das Unternehmen mit neuen Produkten in ganz neue, noch fremde Märkte gehen, also neue Kundengruppen in neuen Zielmärkten ansprechen?
Diese vier grundlegenden Strategien sind mit einem immer größer werdenden Risiko verbunden. Je weiter sich ein Unternehmen vom ursprünglichen Kerngeschäft entfernt, desto größer ist die Möglichkeit des Scheiterns. Fehlt es dem Unternehmen an Know-how und Kompetenz in den neuen Geschäftsbereichen, hilft auch die beste Marketingkampagne nichts. Dennoch: Wenn kein Wachstum mehr im Kerngeschäft zu erwarten ist, müssen neue, eventuell riskante Wege beschritten werden.
Die Gap-Analyse und die Produkt-Markt-Matrix weisen darauf hin, wie wichtig es sein kann, rechtzeitig über neue Produkte nachzudenken. Unternehmen, die mehrere Eisen im Feuer haben, können bei Umsatzeinbrüchen oder in gesättigten Märkten flexibler reagieren. Mit nur einem einzigen Produkt ist die Zukunft eines Unternehmens höchst ungewiss – ein Produkt ist nun einmal nicht unsterblich, wie am Beispiel des Produktlebenszyklus-Modells gezeigt worden ist. Ein Unternehmen braucht deshalb zur Zukunftssicherung und zum Risikoausgleich mittelfristig eine Palette von Produkten, d. h. ein ausgewogenes „Portfolio“ von Produkten in unterschiedlichen Phasen ihres Lebenszyklusses. Unrentable Produkte in der Rückgangsphase sollten allerdings eliminiert werden.
Auch für Start-ups ist es nützlich, darüber nachzudenken, wie das zukünftige Produktportfolio des Gründungsunternehmens aussehen könnte und sollte.
Mit Hilfe des Portfolio-Modells ist es möglich, auf einen Blick die produktpolitische Situation eines Unternehmens und den sich den daraus ergebenden Handlungsbedarf zu erkennen.
Das Portfolio zeigt auf einen Blick, wo sich Investitionen lohnen könnten (Childs bis Cash Cows) und wo eher nicht (Poor Dogs).
Start-ups tun gut daran, von Beginn an zu überlegen, ob und wie sie ihr Angebot durch zusätzliche (verwandte oder neue Produkte) ergänzen könnten. Der Übergang eines Produkts von der Sättigungs- in die Rückgangsphase verläuft mitunter sehr schnell. (Red Bull ist z. B. als Ein-Produkt-Unternehmen an den Start gegangen, mittlerweile gibt es auch hier neue Geschäftsfelder und ein breit aufgestelltes Produktsortiment.)
Der Schnelldurchlauf durch die fünf Basismodelle der Marketingplanung ist damit beendet. Ihre Botschaft ist trotz unterschiedlicher Ansätze identisch: Nichts bleibt wie es ist; behalte deshalb von Anfang an die mögliche Entwicklungen des Marktes und des Unternehmens im Auge.
Alles dreht sich im Marketing um den Kreislauf Angebote entwickeln → Kunden gewinnen → Angebote verbessern → Kunden binden – und dabei Geld für die Entwicklung neuer Angebote verdienen – und dann beginnt der Kreislauf aufs Neue.
Die hier vorgestellten Marketingmodelle sind hilfreich, wenn es um anstehende marketingpolitische Entscheidungen geht, aber auch um zukünftige Entwicklungen einzuschätzen. Als Entscheidungsmodelle oder Prognosemodelle, wie manche meinen, würde ich sie aber nicht bezeichnen; dazu sind sie zu einfach gestrickt. Für mich haben sie eher den Charakter kreativitätsfördernder Analyseverfahren – also von, wie oben erwähnt, „Intelligenzverstärkern“.
Man muss sich der Gefahr bewusst sein, dass die modellgestützte Marketingplanung zu einem trügerischen Gefühl der Sicherheit und Berechenbarkeit führen kann. Viele Modelle unterstellen nicht immer zulässige „Wenn-dann-Beziehungen“ und reduzieren die Vielzahl der Einflussgrößen auf relativ wenige Variablen. Mit Hilfe digitalisierter „Künstlicher Intelligenz“ werden für diese Probleme aber vielleicht schon bald überzeugende Lösungen gefunden werden.
Bis es soweit ist, rate ich insbesondere Gründern und Gründerinnen ihrem gesunden Menschenverstand zu vertrauen. Marketingmodelle sind lediglich „Denk-Krücken“. Aus ihnen resultieren alternative Handlungsoptionen, die nicht alle zielführend sein müssen. Seien Sie besonders kritisch gegenüber Beratern, wenn Sie deren modellgestützten strategischen oder operativen Empfehlungen nicht nachvollziehen können.
Überarbeitete Version. Der ursprüngliche Beitrag erschien zuerst auf www.wirtschafts-thurm.de
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