Fünf Fragen an Christiane Witt

Christiane Witt ist Gleichstellungs- und Integrationsbeauftrage des Landkreises Teltow-Fläming. Die Fragen stellte Kenneth Hinze, Student an der Hochschule Harz.

Hinze: Sehr geehrte Frau Witt, als Gleichstellungs- und Integrationsbeauftrage des Landkreises Teltow-Fläming betreuen Sie mehrere Projekte wie das Netzwerk Integration/Migration. Stellen Sie das Netzwerk bitte kurz vor. Wie kam es zu diesem Projekt? Was war der Auslöser?

Witt: Als ich 2008 das Amt als Gleichstellungs- und Integrationsbeauftragte übernahm, gab es bereits einen kleinen Arbeitskreis, der sich weitestgehend um Anliegen von Flüchtlingen als “Zugewiesene” kümmerte. Durch die ständig steigende Zahl der Zuwanderer von Menschen aus der EU bzw. aus Drittstaaten im gesamten Landkreis und die damit verbundenen Herausforderungen entwickelte sich sehr rasch ein Netzwerk, in dem Ehrenamt und Profession gleichermaßen vertreten sind. Auslöser war die Vielzahl der Beratungsbedarfe und die damit verbundenen Fragen, die nach Antworten in allen gesellschaftlichen Bereichen suchten. Mittlerweise gibt es etwa 30 Personen aus den unterschiedlichsten Bereichen (RAA, Schulamt, Vertreter aus den Gemeinden, soziale Träger, Jugendmigrationsdienst, Ausländerbehörde, Ehrenamtliche, Beratungsstellen, Polizei, IQ-Netzwerk, Kreisverwaltung, örtliche Beauftragte), die sich in der Arbeit mit Migranten engagieren. Innerhalb des Netzwerkes werden Informationen zu Hilfebedarfen von Zugewanderten kommuniziert. Die Kenntnis der örtlichen und kreislichen Strukturen hilft bei der Lösung von Alltagsproblemen und bei der Schaffung von Angeboten. Das Netzwerk trifft sich in der Regel 4x im Jahr und tauscht sich zu aktuellen Themen aus und berät weitere Schritte.

Hinze: Das Netzwerk besteht seit 2008. Welche Erfolge konnten bisher erzielt werden?

Witt: Das Wichtigste am Netzwerk ist die Tatsache, dass alle Akteure sich kennen und dadurch auch außerhalb der Treffen miteinander kommunizieren. Durch das Zusammenwirken können sehr schnell frühe Hilfen angeboten werden. Dabei kommt es nicht auf den Zuwanderungsgrund an, sondern darauf, wie Zuwanderern die Integration vor Ort gelingen kann. Das gestaltet sich ganz praktisch und ganz individuell nach den Bedürfnissen der Zugewanderten. Ich möchte dies an einem Beispiel veranschaulichen: Eine Familie mit Migrationshintergrund und wenig Deutschkenntnissen mit 2 schulpflichtigen Kindern zieht in unseren Landkreis. Die Ausländerbehörde gab der Integrationsbeauftragten eine Information. Ein erster Kontakt entsteht. In einem persönlichen Gespräch wurden erste Schritte besprochen. Über das Schulamt wurde die Schule über Einschulung der Kinder informiert und stellt zusätzliche Stunden für Deutschunterricht zur Verfügung. Die Eltern wurden über das Jobcenter in Deutschkurse vermittelt. Gleichzeitig wurde die Anerkennung mitgebrachter Qualifikationen auf den Weg gebracht. Danach folgen Anpassungsqualifizierungen und eine Hilfestellung in Jobvermittlung. Wichtig ist auch, dass diese Familie einen Paten zur Seite gestellt bekommen hat. Hier haben Ehrenamtler vor Ort den persönlichen Kontakt und helfen bei Alltagsfragen. Auf persönlichen Wunsch sind die Kinder in Sportvereinen vermittelt und erhalten immer noch zusätzlich ehrenamtliche Hausaufgabenhilfe. Nach nunmehr fast 1 ½ Jahren haben beide Elternteile eine Arbeit. Die Kinder haben sich im Klassenverband gut eingelebt. Sie sind in Sportvereinen und haben Freunde gefunden.

In unserem Netzwerk werden nicht nur Antworten auf Fragen gesucht und gegeben. Es gibt ein gemeinsames Interesse daran, Schnittstellen zu schaffen, um bereits vorhandene Arbeitsansätze und Projekte weiter zu entwickeln und miteinander zu vernetzen. Im Vordergrund steht die Frage, welche Innovationen sind notwendig, um aktuelle Erfordernisse abzudecken. Schwerpunkte werden dabei auf die Themen Sprachförderung, vorurteilsbewusste Erziehung, der Umgang mit Vielfalt in Wirtschaftsunternehmen, Diskriminierung im Alltag und interkulturelles Leben aus verschiedenen Sichtweisen gesetzt. Mit dieser Herangehensweise wurde im Netzwerk erstmalig 2009 die Idee unserer Herbstkonferenz geboren. Am 7. November 2009 kamen etwa 120 Personen aus allen Bereichen des Landkreises zusammen, um unter der Überschrift “Zukunft braucht Herkunft” miteinander ins Gespräch zu kommen, Ideen zu entwickeln und sich immer weiter zu vernetzen. Der Bedarf des Austausches war so groß, dass seither jährlich Herbstkonferenzen stattfinden.

Hinze: Im Januar 2014 wurde das Netzwerk mit dem Integrationspreis des Landes Brandenburg ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen dieser Preis?

Witt: Wir haben uns sehr darüber gefreut. Schließlich ist der Preis eine Würdigung der Arbeit aller. Im Land Brandenburg wurde zum ersten Mal ein solches Netzwerk ausgezeichnet. Daher ist der Preis für uns etwas ganz besonderes. Er ist gleichzeitig auch Ansporn dafür weiter zu machen. Längst sind wir mit der Thematik Integration / Migration noch nicht dort angekommen, wo wir hin wollen. Wir streben nach einem demokratischen Miteinander aller Menschen. Ohne die Arbeit aller Mitwirkenden wäre das gelebte Miteinander im Landkreis Teltow-Fläming gleichberechtigt und auf gegenseitigem Respekt beruhend nicht möglich. Demokratie braucht alle hier lebenden Menschen. Egal ob mit oder ohne unterschiedlicher Herkunft, Nationalität und Religion. Die uns damit gebotene Vielfalt ist gleichzeitig Chance für eine interkulturelle Verständigung und damit gelungene Integration in Teltow-Fläming.

Hinze: Welche Ziele haben Sie sich für die kommenden Jahre gesetzt? Gibt es neue Projekte die umgesetzt werden sollen?

Witt: Ein herausragendes Ziel ist die Entwicklung einer Willkommenskultur. Hier muss uns wesentlich stärker als bisher die Einbeziehung der Politik und Verwaltung gelingen. Allein das sehe ich als Schwerstarbeit an. Es müssen Strukturen geschaffen werden, die es ermöglichen, zielgerichteter und schneller mitgebrachte Qualifikationen und damit verbundene Potentiale nutzen zu können. Bisher gibt es für Migranten noch nicht ausreichend Arbeitsmöglichkeiten. Noch ist zu beobachten, dass viele Hochqualifizierte weggehen. Die “Beziehungsarbeit” zu ortsansässigen Firmen muss dringend verbessert werden. Viele Firmen trauen sich nicht Menschen zu sich in die Firmen aufzunehmen, weil sie noch nicht über genügend Sprachkenntnisse verfügen. Andererseits klagen Firmen zunehmend über Fachkräftemangel. Die Praxis zeigt, dass anfängliche Sprachhemmnisse schnell überwunden werden, wenn eine persönliche Beziehung zum Beschäftigten eingegangen wurde. Selbst Kinder lernen sehr schnell die Sprache, wenn sie mit deutschsprachigen Kindern Kontakte haben. Die Thematik der Integration von Menschen anderer Herkunft, anderer Kulturen wird im Alltag noch zu skeptisch betrachtet und ist mit vielen Vorurteilen behaftet. Um hier von einer wirklichen Integration sprechen zu können bedarf es noch viel Öffentlichkeitsarbeit, Projekte, Aufklärungsarbeit. Auch in der Politik und der Verwaltung vor Ort sollte Integration aller Menschen mehr in den Blick genommen werden. Zugewanderte sollten die Chance bekommen, nicht assimiliert zu werden, sondern ihre Kultur in aller bestehenden Unterschiedlichkeit einbringen zu können. Die damit verbundene Vielfalt sehe ich als große Chance und Herausforderung für unsere Kommunen. Derzeit arbeiten wir an einem Wegweiser für Zugewanderte, der in den örtlichen Meldebehörden ausliegen soll und so Hilfestellung in Alltagsfragen und Ansprechpartner sein kann. Ziele unterliegen einer permanenten Entwicklung. Wenn es uns gelingt so wie bisher im Gespräch zu bleiben, mache ich mir keine Sorgen, um die damit verbundene Flexibilität.

Hinze: Warum ist Ihrer Meinung nach das Thema Willkommenskultur besonders im Landkreis Teltow-Fläming und im Land Brandenburg so wichtig?

Witt: Eine wichtige Frage. Zuwanderung ist im Land Brandenburg eine gesellschaftliche Realität. Damit natürlich auch für unseren Landkreis. In Teltow-Fläming leben derzeit ca. 160.000 Menschen. Davon etwa 4000 Personen aus 103 Nationen. Eine Vielfalt, die sich nicht jedem von uns sofort erschließt. Der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund beträgt ca. 5%. In dieser Zahl sind auch diejenigen Personen enthalten, die bereits eine deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben. Für mich ist die Schaffung einer Willkommenskultur die logische Folge unserer kreislichen Entwicklung. Meine Erfahrung ist die, dass Zugezogene – egal ob aus einem anderen Land oder aus einem anderen Landkreis – eher schüchtern und abwartend sind. Sie alle freuen sich, wenn man auf sie zukommt und mit ihnen in Kontakt tritt. Je früher das passiert, umso schneller erfolgt eine Integration. Je besser wir alle auf Zuwanderung mit all seinen Herausforderungen vorbereitet sind, umso besser funktioniert das Miteinander. Für mich bedeutet die Befassung mit der Thematik Willkommenskultur auch ein Stück Entwicklung in die richtige Richtung. Von jeher sind Zuwanderer für unsere Region und die hier lebenden Menschen ein Gewinn sowohl in persönlicher aber auch wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht. Sie bringen eine Menge an Erfahrungen und Kreativität mit. Wir können voneinander lernen und uns dadurch gegenseitig bereichern. Auch um unseren Landkreis macht der demografische Wandel keinen Bogen. Wir sollten uns auf vorhandene Potentiale, die unsere Zuwanderer haben “stürzen”, um sie gut für uns nutzen zu können. Ich wünsche mir für unseren Landkreis eine Willkommenskultur, die unser Miteinander vielfältiger, lebendiger und bunter gestaltet.

Der Beitrag erschien zuerst auf www. wirtschafts-thurm.de

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