Der Weltreklamekongress 1929 – Eine Sternstunde der Wirtschaftswerbung

Es war ein Ereignis der Superlative: der Weltreklamekongress vom 11. bis 15. August 1929 in Berlin. Nie zuvor hatten sich Experten in so großer Zahl versammelt, um sich über Werbung auszutauschen. Rund fünftausend Teilnehmer allein aus dem Ausland wurden von den Veranstaltern des Weltreklamekongresses erwartet, davon über dreitausend aus den Vereinigten Staaten. In den „goldenen Jahren“ der Weimarer Republik war die prosperierende Reichshauptstadt experimentierfreudig und weltoffen – ein idealer Tagungsort für in- und ausländische Werbefachleute.

In meinem Blogbeitrag „P. T. Barnum, Hans Domizlaff und David Ogilvy – drei Männer, die Werbegeschichte geschrieben haben“ habe ich auf die Bedeutung des Weltreklamekongresses für die heutige Werbung kurz hingewiesen. Werbung hatte sich spätestens in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als unverzichtbares Wettbewerbsinstrument endgültig durchgesetzt. Vom Nutzen der Werbung als Motor für Wohlstand und Wachstum waren die meisten überzeugt.

Der Weltreklamekongress: Die Werbung entdeckt die Wissenschaft

Woran es damals mangelte, war die Kenntnis der Möglichkeiten und Grenzen der Werbung, von Standards und Spielregeln. Der Weltreklamekongress wollte hier für Klarheit sorgen und die Professionalisierung der Werbebranche vorantreiben. Darüber hinaus sollten auf dem Weltreklamekongress erstmals die wissenschaftlichen Grundlagen der Werbung eruiert werden. „Reklame, der Schlüssel zum Wohlstand der Welt“, lautete das Tagungsmotto – auf dem Weltreklamekongress wurde sogar das „Zeitalter der Reklame“ ausgerufen. Dass dieses Zeitalter dann ganz anders verlaufen sollte als gedacht, ahnten die in Berlin versammelten Werbefachleute noch nicht.

Plakat Weltreklarmekongress
Kongressplakat

Wie es zum Weltreklamekongress kam

Initiator des Weltreklamekongresses war die „International Advertising Association“ (IAA), die Dachorganisation aller regionalen Werbeklubs der Vereinigten Staaten. 1926 beschloss der Verband, ab 1929 alle fünf Jahre einen „World Advertising Congress“ im Ausland zu veranstalten. Im Oktober 1928 entschied sich die IAA nach einer wohl grandiosen Präsentation des Deutschen Reklame-Verbands (DRV) für Berlin als Tagungsort. Für die Vorbereitung des Weltreklamekongresses wurde in Deutschland eine umfangreiche Organisation geschaffen, der es in weniger als einem Jahr gelang, den reibungslosen Ablauf des Weltreklamekongresses sicherzustellen.

Die Modernisierung der Werbung beginnt

In den Tagungsstätten in der Berliner City und unter dem Funkturm wurden in über dreihundert Vorträgen nicht nur werbefachliche Themen, sondern auch wirtschaftspolitische Aspekte beleuchtet. Insbesondere betrügerischer Werbung und dem Plagiat-Unwesen sollte auf dem Weltreklamekongress nach der IAA-Devise „Truth in Advertising“ der Kampf angesagt werden. Das Thema Werbeethik wurde deshalb genau so intensiv behandelt wie z. B. Fragen der Marktforschung, der Werbepsychologie und der Werbegestaltung.

Ein Blick in die damaligen Zeitungen zeigt, dass die Qualität der Werbung tatsächlich viel zu wünschen übrig ließ. Überrumpelndes, aufdringliches Reklamegeschrei dominierte. Wohltuende Ausnahme: der seriöse Werbeauftritt einiger großer Marken wie Rama, Haribo oder Nivea.

Werbung für Weltreklamekongress
Werbung 1928-32

Der Weltreklamekongress war ohne Zweifel eine – fast vergessene – Sternstunde der modernen Wirtschaftswerbung. Protagonisten wie der Marketingvordenker Hans Domizlaff vertraten auf dem Kongress Thesen, die noch immer Gültigkeit haben.

Wetterleuchten am Horizont

Die ersten Prognosen von über 5.000 ausländischen Besuchern waren etwas zu optimistisch; die tatsächliche Zahl der Kongressteilnehmer lag deutlich darunter. Vermutlich haben die sich abzeichnende Eintrübung der Weltwirtschaft und Meldungen über die zunehmende Radikalisierung der politischen Auseinandersetzungen in Berlin zu Stornierungen größeren Ausmaßes geführt. Dennoch war der Weltreklamekongress bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg die größte internationale Tagung, die jemals in Deutschland stattgefunden hatte.

Gefeiert wurde natürlich auch. Die Kongressleitung hatte fast für jeden Tag Festveranstaltungen, Ausflüge und Besichtigungen eingeplant, die das Tagungsprogramm ergänzten. Doch nicht wenige Kongressbesucher nutzten die Gelegenheit, die Berliner Vergnügungsszene auf eigene Faust zu erkunden. Denn nicht nur Nofretete, der Pergamon-Altar oder die Philharmoniker hatten die Gäste in die Reichshauptstadt gelockt…

„Berlin Babylon“? 1929 nicht mehr ganz

Nicht ohne Grund hatte man Berlin als Veranstaltungsort auserkoren; als Kultur- und Vergnügungsmetropole nahm die Reichshauptstadt weltweit eine Spitzenposition ein. Bei den amerikanischen Gästen sprachen darüber hinaus noch zwei weitere Argumente für Berlin: der kaufkräftige Dollar und die Drinks. Hier brauchte man nicht wie daheim die Whiskeyflasche in der Hosentasche zu verstecken. (Erst 1933 endete in den USA die Prohibition.) Mit dem wilden, ungezügelten Nachtleben Berlins, dem „Tanz auf dem Vulkan“, war es allerdings nach dem Ende der Inflationszeit Mitte der zwanziger Jahre fast vorbei.

Faszinierend waren die Berliner Nächte aber immer noch, wie sich neugierige Kongressbesucher überzeugen konnten. Ob im Haus Vaterland, im Moka Efti, im Resi-Casino oder in den unzähligen Bars, Nachtclubs und Cabarets – gefeiert und getanzt wurde bis zum frühen Morgen…

Fotos vom Weltreklamekongress
Kongressfotos

Das Ende des Traums vom Wohlstand

Am 24. Oktober 1929, sechs Wochen nach dem Weltreklamekongress, platzte an der Wallstreet eine gigantische Aktienblase. Die von US-Krediten gestützte deutsche Wirtschaft rutschte in die Depression. Die Weltwirtschaftskrise führte zu Firmenpleiten und Arbeitslosenzahlen von nie gekanntem Ausmaß. Die Nachfrage nach Konsumgütern ging zurück, weitere Entlassungen waren die Folge. Das Elend der Arbeitslosigkeit betraf jetzt auch die Werber. Aus dem Traum vom Wohlstand begann, ein Alptraum zu werden. Der Rausch der Goldenen Zwanziger und der Glaube an die Allmacht der Werbung waren verflogen…

Das Vermächtnis des Weltreklamekongresses

Das Anliegen des Weltreklamekongresses war es, sich für effiziente, faire Werbung einzusetzen. Innovative Angebote, kundenorientiertes Denken und kreative Werbung – so könnten Krisen überwunden werden. Das ist wohl die wichtigste Botschaft der Generation des Weltreklamekongresses.

Ein Jahr nach dem Weltreklamekongress war es dafür zu spät. Die desaströse Wirtschaftslage und die brutalen Sparprogramme, insbesondere im sozialen Bereich, hatten bei der Bevölkerung die Hoffnung auf wirtschaftliche Gesundung restlos zerstört. Das Ende der Weimarer Republik war eingeläutet.

Die Vorgeschichte, den Ablauf und die Bedeutung  des Weltreklamekongresses für die heutige Werbung habe ich in meinem Buch „Als die Werber Charleston tanzten. Der Weltreklamekongress 1929 in Berlin“ beschrieben. Das Buch ist im März 2018 im Thurm-Verlag erschienen

Die Abbildungen sind entnommen aus: Kleinert, Als die Werber Charleston tanzten, Lüneburg 2018

Der Beitrag wurde zuerst in www.wirtschafts-thurm.de veröffentlicht.

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1 Kommentar zu „Der Weltreklamekongress 1929 – Eine Sternstunde der Wirtschaftswerbung“

  1. Sehr geehrter Herr Prof. Kleinert, ich schreibe Ihnen als Reaktion auf den obigen Beitrag aus einem völlig ‘reklamefernen’ Grund in meiner Eigenschaft als Mitglied des Weltverbandes der Konferenzdolmetscher (AIIC – aiic.net oder aiic.de). Wir erforschen die Ursprünge des Simultandolmetschens (die Grundlage unseres modernen Berufes) und im Allgemeinen meint man damit die Nürnberger Prozesse, aber es gab vorher schon einige Versuche. Aus Nachforschungen im Archiv von Siemens ergibt sich, dass Siemens&Halske 1929 irgendeine Art von Dolmetschanlage für den Weltreklamkongress bereitgestellt hat, aber es gibt keine Einzelheiten. Da Sie sich ja intensiv mit diesem Kongress befasst haben, daher meine Frage: ist in der Berichterstattung jemals erwähnt worden, wie das Problem der Vielsprachigkeit gelöst wurde, dass gedolmetscht wurde und wie? Sind auf irgendwelchen Fotos Dolmetscher (möglicherweise in Telefonhäuschen), zu erkennen bzw. sieht man Zuhörer mit Kopfhörern? Wenn wir so etwas entdecken könnten, wäre das eine kleine Sensation, denn den Ruhm für die ‘Erfindung’ der Simultandolmetschanlagen heimste bisher ein Amerikaner bzw. IBM ein. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung

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