Rede des Ministers Holger Stahlknecht über Willkommenskultur in Sachsen-Anhalt

Am Freitag, den 29.05.2015 fand an der Hochschule Harz die 3. Fachtagung zum Thema Willkommenskultur statt, zu der Prof. Dr. Manschwetus gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Dr. Jens Cordes einlud . Die Veranstaltung stand unter dem Motto „Migrationsmarketing – Ein innovativer Weg zu internationalen Fachkräften„.  Als Keynote Speaker sprach Holger Stahlknecht, Minister für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt.  Seine Rede – die auf viel Zustimmung im Publikum stieß – hier im vollen Wortlaut:

Hochschule Harz 3. Konferenz zum Thema „Willkommenskultur“  am 29.05.2015

Willkommenskultur in Sachsen-Anhalt

Rede von Holger Stahlknecht,  Ministers für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt

-es gilt das gesprochene Wort-

Holger Stahlknecht

Anrede,
Ich danke Ihnen für Ihre Einladung zu Ihrer mittlerweile dritten Konferenz zum Thema „Willkommenskultur“ und freue mich darüber, mit Ihnen zu einem gleichzeitig aktuellen aber auch dauerhaft bedeutsamen Thema ins Gespräch zu kommen.

Es ist mittlerweile ein Gemeinplatz: Wir leben in einer Epoche der Globalisierung. Dies gilt – spätestens seit dem Fall des Eisernen Vorhangs – auch und gerade für die Migration. Von dem Abschluss des ersten Anwerbeabkommens mit Italien im Jahr 1955 bis heute hat sich auch Deutschland durch Zuwanderung massiv verändert. Viele Menschen anderer Nationalität, Kultur und Religion sind mittlerweile unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. Diese Entwicklung dauert an und lässt sich ebenso wenig aufhalten wie die Globalisierung als solche. Das Gleiche gilt für den bereits begonnenen demografischen Wandel und  den zunehmend konstatierten Fachkräftemangel. In Sachsen-Anhalt leben derzeit 2,2 Mio. Einwohner, 1990 waren es noch 2,87 Millionen, Tendenz weiter sinkend. Die Zahl der fehlenden Fachkräfte wird für das Jahr 2020 mit 80.000 bis 100.000 prognostiziert. Umso wichtiger ist es, diese Entwicklungen durch eine verantwortungsvolle und gut überlegte Zuwanderungs- und Migrationspolitik so zu gestalten, dass sie sowohl für die Menschen, die aus aller Welt zu uns gekommen sind und kommen, als auch für die Bundesrepublik Deutschland – also für uns alle – von Nutzen ist. Nur dann gelingt es uns, dass aus einer unbestrittenen Realität eine akzeptierte Normalität wird, wie es der Präsident des BAMF Manfred Schmidt unlängst ausdrückte. Nun neigen wir Deutschen nicht unbedingt dazu, in gesellschaftlichen Veränderungen zunächst nach dem Positiven zu suchen. So war auch die politische Debatte über Zuwanderung und Integration lange Zeit von der Diskussion über Risiken, Gefahren, Mängel und Kosten dominiert. Erst seit einigen Jahren werden verstärkt auch die Potenziale, die Menschen mit Zuwanderungsgeschichte für unser Land bieten, in den Blick genommen.

Gestatten Sie mir dazu einen kleinen historischen Diskurs: Das Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt ist ein Land mit einer alten und vielschichtigen Kultur, die auch daraus entstanden ist, dass seit prähistorischer Zeit permanent wirtschaftlicher, kultureller und Siedlungsaustausch erfolgte. Die Sesshaftigkeit war immer verbunden mit Siedlungsbewegungen, die großen Völkerwanderungen sind davon ein beredtes Zeugnis. Über viele Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg war letztlich die Wanderung die Konstante. Mobilität und Austausch sind  daher keine Erfindungen der Neuzeit, auch wenn sie heute durch mediale und technische Hilfsmittel eine andere Dimension und Geschwindigkeit erreicht haben. Hier in Sachsen Anhalt geben die Ausgrabungen an der B6 N reichhaltiges Zeugnis über die Vielfältigkeit durch Siedlungsbewegungen und die großen Handelswege, die von Troja bis Halle führten. Die Zeit des frühen Mittelalters ist in diesem geographischen Raum an der Ostgrenze des fränkischen Reiches ebenfalls eine Zeit des  Siedlungswesens und der Zuwanderung. Im Rahmen der ersten Siedlungswellen  kamen Siedler aus unterschiedlichen thüringischen, fränkischen, westfälischen und vor allem flämischen Gebieten in den mitteldeutschen Kulturraum. Unter Erzbischof Wichmann, dem engsten politischen Berater von Kaiser Friedrich Barbarossa, werden gezielt Siedler vor allem aus flämischen Gebieten unter günstigen Bedingungen ins Land geholt und insbesondere im deutsch-slawischen Grenzbereich angesiedelt. Hinzu kamen die im Zuge der deutschen Ostsiedlung christianisierten Elbslawen. Weiterhin leben in Sachsen-Anhalt auch Nachfahren der in den vergangenen Jahrhunderten eingewanderten Hugenotten sowie anderer verfolgter Volksgruppen, die bei den frühneuzeitlichen Landesherren im heutigen Sachsen-Anhalt Zuflucht fanden. Von diesen Wanderungsbewegungen und dem damit verbundenen Austausch hat der mitteldeutsche Raum kulturell und wirtschaftlich erheblich profitiert. Im Zusammenhang mit der Landflucht kamen im 19. Jahrhundert viele Katholiken aus den preußischen Ostprovinzen in die Zuckerrübenfabriken und veränderten  das über Jahrhunderte gewachsene protestantische Gefüge. Der Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg erfolgte auch mit den vielen Vertriebenen und Flüchtlingen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, die in Sachsen Anhalt eine neue Heimat fanden.

Was will ich mit diesem kleinen Exkurs ansprechen? Zum einen, dass die Entwicklung von Geschichte, Kultur , Wirtschaft und Heimat immer mit Wanderungsbewegungen, Zuzügen  und neuen Impulsen von außen verbunden war und ist und zum Anderen dass Identität und Verortung  sich nicht vorwiegend an  genetischer oder lokaler Herkunft festmachen, sondern   etwas mit bewusster Gemeinschaftsbildung, mit Gestaltungs- und Aufbauleistung zu tun haben.

Wie sieht die Situation heute in unserem Bundesland aus? Seit dem Fall der Mauer hat sich die Zahl der in Sachsen-Anhalt lebenden Menschen mit Migrationshintergrund ebenso wie ihr prozentualer Anteil an der Gesamtbevölkerung deutlich erhöht. Während im Jahr 1990 weniger als 20.000 Ausländerinnen und Ausländer in Sachsen-Anhalt lebten, sind es heute immerhin rund 66.520. Die zehn Hauptherkunftsländer sind Polen, Vietnam, Russische Föderation, Syrien, Ukraine, China, Rumänien, Türkei, Ungarn und Indien,  wobei Polen mit 10,4 % und  Vietnam mit 6,2% am stärksten vertreten sind. Den höchsten Ausländeranteil im Land haben gemessen an ihrer jeweiligen Einwohnerzahl mit 2,5 bis 4% die kreisfreien Städte, Halle, Magdeburg und Dessau, in den Landkreisen liegt der Anteil der ausländischen Bevölkerung zwischen 1,2% und 2% deutlich niedriger. Insgesamt liegt der Anteil der ausländischen Bevölkerung in Sachsen-Anhalt bei 2,5 %. Rechnet man die in Sachsen-Anhalt lebenden rund 22.000 Spätaussiedler einschließlich ihrer deutschen und nicht deutschen Ehegatten und Abkömmlinge sowie die in Deutschland geborenen Kinder beider Gruppen dazu, so haben heute etwa vier Prozent der Bevölkerung Sachsen-Anhalts einen Migrationshintergrund. Das ist im Vergleich zum Bundesdurchschnitt von 8,5 % Ausländeranteil und 19% Anteil mit Migrationshintergrund eine vergleichsweise geringe Zahl.

Ich habe schon in anderem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Probleme, die wir bisweilen im Umgang miteinander haben, nicht zwingend daher rühren, dass wir zu viele sondern vermutlich eher zu wenige ausländische Mitbürger in Sachsen-Anhalt haben. Uns fehlt zum Teil die Selbstverständlichkeit im Umgang mit Anderen, um Vielfalt als Bereicherung zu begreifen, in sozialer, kultureller und auch in ökonomischer Hinsicht. Die Landesregierung hat seit langem erkannt, dass Vielfalt eine wichtige Ressource für das Land ist und dies im November 2010 – beispielgebend für andere Unternehmen und Einrichtungen im Land – durch den Beitritt zur Charta der Vielfalt auch nach außen dokumentiert. Bei allen Vorteilen, die eine ethnisch, kulturell und religiös vielfältig zusammengesetzte Gesellschaft mit sich bringt, darf nicht verkannt werden, dass hieraus auch Probleme erwachsen können. Diese entstehen dann, wenn die verschiedenen Gruppen nicht miteinander, sondern nebeneinander leben, es also zu Segregationserscheinungen und  – im Extremfall – der Ausbildung von „Parallelgesellschaften“ mit eigenen subkulturellen Wertesystemen kommt.

Dem entgegenzuwirken ist Aufgabe der Integration, um die Voraussetzungen für ein friedliches, sich wechselseitig ergänzendes und bereicherndes Zusammenleben mit möglichst gleichen Chancen, Rechten und Pflichten für alle herzustellen. Mit anderen Worten:

Integration schafft die Rahmenbedingungen, unter denen Vielfalt als Gesellschaftsmodell überhaupt erst funktioniert.

Konstitutiv für Integration ist die Identifikation aller Mitglieder der Gesellschaft mit einer gemeinsamen Werteordnung. Vielfalt braucht -wenn sie nicht Beliebigkeit sein soll- zur Entfaltung einen verbindenden Rahmen. Dieser Rahmen, dieses Band ist in Deutschland das Grundgesetz, der Maßstab für eine verbindende und verbindliche  Werteordnung.

Dazu gehören insbesondere

  • die Würde des Menschen und die sich daraus ergebenden Grundrechte wie z. B. die Gleichberechtigung von Mann und Frau;
  • Demokratie und Rechtsstaatlichkeit;
  • der Schutz von Minderheiten;
  • die gewaltfreie Lösung von Konflikten.

Um diese Werteordnung verinnerlichen und akzeptieren zu können, ist Bildung erforderlich. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Kenntnis der deutschen Sprache. Erst die Sprachkenntnis ermöglicht eine Teilhabe an Arbeit, sozialen Kontakten und politischer Gestaltung.  Die Vermittlung von ausreichenden Sprachkenntnissen von Beginn an gehört vor diesem Hintergrund zu den Kernaufgaben der Integrationsarbeit.

Integration ist jedoch keine Einbahnstraße. Sie erfordert nicht nur die grundsätzliche Integrationsbereitschaft der Zugewanderten sondern auch den Integrationswillen der Aufnahmegesellschaft. Ob Integration gelingt hängt sehr stark auch davon ab,  ob wir gewillt und in der Lage sind, uns zu öffnen und andere Menschen willkommen zu heißen. Wer auf Offenheit und eine ehrliche Willkommenskultur trifft, dem fällt es auch leichter sich zu integrieren als jenem, dem mit Misstrauen, Abgrenzung oder sogar Fremdenfeindlichkeit begegnet wird. Das wird Ihnen bereits jeder bestätigen, der –unabhängig von nationalen Zugehörigkeiten- von außen in eine Dorfgemeinschaft hinzuzieht. Integration bedeutet auch nicht, dass sich die Zugewanderten einseitig an die Aufnahmegesellschaft im Sinne einer Assimilation anpassen, sondern auch die Akzeptanz von Andersartigkeit und Vielfalt durch die Aufnahmegesellschaft.

Wichtig ist dabei die Erkenntnis, dass Offenheit und Toleranz gegenüber anderen Menschen, Positionen und Kulturen nicht heißt,  eigene Positionen oder gar die  eigene Kultur fraglos aufzugeben. Vielmehr ist es eine Chance, diese durch mehr Wissen, neue Impulse und die kritische Auseinandersetzung zu verändern und zu bereichern. Bundespräsident Gauck hat es letztlich auf einer Einbürgerungsfeier so ausgedrückt: „Wir verlieren uns nicht, wenn wir Vielfalt akzeptieren“. Warum tun wir uns dann so schwer damit? Wahrscheinlich, weil das Neue immer auch das Fremde und Unbekannte ist und zumeist unhinterfragte Gewissheiten in Frage stellt. Das löst bisweilen Unsicherheit und Ängste aus. Dazu kommt, dass immer dann, wenn Menschen sich durch neue Situationen überfordert fühlen oder den Eindruck haben, nicht ausreichend informiert und mitgenommen zu werden,  Gefühle des bedroht Seins und entsprechende  Abwehrreaktionen entstehen können. Das müssen wir ernst nehmen und dem müssen wir begegnen. Der Schlüssel hierfür ist eine erfolgreiche Integrationsarbeit. Als nach dem Abschluss der Anwerbeabkommen insbesondere in den 60er-Jahren die sogenannten Gastarbeiter jährlich zu Hunderttausenden nach Deutschland kamen, hielt man organisierte Sprachkurse und andere Integrationsmaßnahmen damals zunächst für entbehrlich. Wir haben nur über Arbeitskräfte geredet, aber nie über Bürger. Heute wissen wir es besser.

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Holger Stahlknecht, Uwe Manschwetus

Wer hätte zuzeiten des Abschlusses der Anwerbeabkommen vermutet, dass einmal 20 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben würde? Und als im Jahr 2007 die Zahl der Asylerstantragsteller auf unter 20.000 zurückging, haben wohl die wenigsten erwartet, dass es sieben Jahre später bereits zehnmal so viele waren, Tendenz steigend. Diese Entwicklungen zeigen, dass wir die  rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen immer wieder auf den Prüfstand  stellen müssen.

Wenn wir über diese rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen reden, müssen wir berücksichtigen, dass Menschen, die in unser Land kommen, dies mit unterschiedlichen Migrationszwecken und  Rechtsstatus tun. Hier ist vor allem zu unterscheiden nach Zuwanderung zum Zweck der Erwerbstätigkeit und Asylgesuchen. Hinsichtlich der Zuwanderung zum Zweck der Arbeitsaufnahme hat sich in rechtlicher Hinsicht nach meinem Eindruck durch eine Reihe von gesetzgeberischen Maßnahmen bereits einiges getan. Nach einer OECD-Studie gehört Deutschland zu den Ländern mit den niedrigsten rechtlichen Hürden für die Zuwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte.

Eine grundlegende Erweiterung der Zuwanderung erfolgte mit dem Gesetz zur Umsetzung der sogenannten Hochqualifizierten-Richtlinie, mit dem der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für gut ausgebildete ausländische Zuwanderer, insbesondere Hochqualifizierte und Studierende, weiter geöffnet wurde. Zugleich wurde mit der „Blauen Karte EU“ ein neuer Aufenthaltstitel eingeführt, welcher gegenüber anderen Aufenthaltstiteln zum Zwecke der Erwerbstätigkeit einige Vorteile, wie beispielsweise ein frühzeitiges Daueraufenthaltsrecht,  bietet und so die Attraktivität für die Aufnahme einer Beschäftigung in Deutschland erhöht. Auch für nicht akademisch gebildete Fachkräfte hat sich Deutschland geöffnet. Sie können seit Sommer 2013 eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn die Beschäftigung in einem  Beruf erfolgt, der als Mangelberuf festgestellt wurde. Daran zeigt sich, dass bereits Dinge verändert wurden, dass dies aber häufig unbemerkt geschah, es hat zu diesen Veränderungen kein breiter Diskurs stattgefunden. Dieser ist aber erforderlich, um für das Thema eine breite Akzeptanz zu erhalten und daher ist allein schon die Debatte um die Weiterentwicklung des Einwanderungsrechts ein Mehrwert.

So unterschiedlich die Vorschläge zur Erweiterung, Umgestaltung oder Neufassung eines Zuwanderungsrechtes sind, so einig sind sich die handelnden Akteure darin, dass wir die Attraktivität des Standortes Deutschland und hier speziell in Sachsen-Anhalt verdeutlichen und erhöhen müssen. Die bundesweiten Erfassungen zeigen, dass bislang ausländische Fachkräfte überwiegend aus EU-Mitgliedstaaten nach Deutschland gekommen sind, während die Zahlen der zugewanderten drittstaatsangehörigen Fachkräfte hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind. Diese Entwicklung ist nicht zuletzt den aktuellen wirtschaftlichen Krisen in einigen südeuropäischen Ländern bzw. der wirtschaftlichen Situation in vielen osteuropäischen Ländern  geschuldet. Das bedeutet aber auch, dass mit einer Verbesserung der dortigen Situation diese Zuwanderungsströme abnehmen werden. Um den Bedarf an qualifizierten Fachkräften zu decken, muss Deutschland seine Rekrutierungsbemühungen verstärkt auf Drittstaaten ausrichten. In Sachsen-Anhalt sind derzeit rund 1.100 Drittstaatsangehörige beschäftigt. Trotz der bereits erfolgten Reformen mehren sich die Rückmeldungen aus der Wirtschaft, die von den Schwierigkeiten berichten, unter den bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen  in ausreichender Zahl Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Deshalb bedarf es der  Prüfung, wie gezielt noch mehr Anreize für eine Zuwanderung gesetzt werden können und ob diese auch auf die unterschiedlichen Regionen und ihre Arbeitsmarktbedingungen angepasst werden können.  Sachsen-Anhalt wird sich vor diesem Hintergrund aktiv in die gegenwärtig auch auf Bundesebene laufende Debatte über ein Zuwanderungsgesetz einbringen. Hierbei sollten Steuerungsinstrumente, die sich in anderen Einwanderungsländern bereits bewährt haben, auf ihre Übertragbarkeit auf die deutschen Verhältnisse geprüft und – insoweit diese geeignet erscheinen – bei der Gestaltung der künftigen Zuwanderungsregeln berücksichtigt werden. Wichtig ist dabei auch, dass die Verfahren schnell und nachvollziehbar gestaltet werden. Wenn dennoch Menschen aus diesem Personenkreis noch nicht in ausreichender Zahl nach Deutschland kommen, dann liegt das zum einen sicher daran, dass sich die rechtlichen Erleichterungen der letzten Jahre noch nicht ausreichend herumgesprochen haben.

Weiterhin scheinen wir kein besonders erfolgreiches Zuwanderungsmarketing zu betreiben, wenn bei vielen potenziellen Zuwanderern noch die Überzeugung besteht, dass sie in Deutschland als Zuwanderer nicht besonders erwünscht sind. Das ist besonders misslich, da wir bei der Gewinnung von gut qualifizierten Zuwanderern in einem nationalen und globalen Wettbewerb stehen. Dies gilt ebenfalls für die  Gewinnung von Studierenden aus aller Welt. Derzeit befinden sich 4.600 Studenten aus Drittstaaten in Sachsen-Anhalt. Diese Zahl könnten wir sicherlich auch mit Blick auf eine größere Internationalisierung des Landes erhöhen. Zudem haben  ausländische Studierende nach ihrem Abschluss zunehmend Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt, da sie neben Fachwissen, auch über interkulturelle Kompetenz, Fremdsprachenkenntnisse und Kontakte zu anderen Ländern verfügen.  Wenn jedoch zu Beginn eines Studiums noch zwei Drittel aller ausländischen Studierenden hier bleiben wollen und am Ende nur noch ein Viertel, dann müssen wir uns Gedanken über die Gründe machen. Sprachbarrieren, Bürokratie und bisweilen mangelnde Empathie spielen da sicherlich ebenso eine Rolle wie Stereotype und Vorurteile. Man muss bisweilen darauf hinweisen, dass Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen, nicht von Beruf Migrant oder Zuwanderer sind. Sie sind häufig  jünger als der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung, sie bringen immer öfter Hochschulabschlüsse mit oder erwerben sie hier sie kommen mit ihren Qualifikationen und einem Qualifikationsniveau, das stetig steigt. Und sie treffen mit ihrer Zuwanderung eine bewusste Entscheidung für einen Kulturkreis, für eine Gesellschaftsordnung und für eine neue Heimat.

Die meisten Menschen, die derzeit in unser Land kommen, sind Asylsuchende. Aufgrund von politisch instabilen Verhältnissen in vielen Krisenregionen dieser  Welt verlassen sie ihre Heimat, um vor Verfolgung oder Krieg zu fliehen. Dauer und Umfang der  Wanderungsbewegungen als solche können wir schwer prognostizieren, aber unseren Umgang damit können wir beeinflussen. Der hohe und plötzliche Anstieg in den letzten anderthalb Jahren stellt unser Land vor große finanzielle, organisatorische und auch gesellschaftliche Herausforderungen, die wir nur gemeinsam meistern werden und dabei gelassen und zielstrebig den politischen Diskurs vorantreiben. Unser Land gewährt Asylsuchenden ein Aufenthaltsrecht, wenn sie nach  Art. 16a GG Schutz wegen politischer Verfolgung genießen, also Asylberechtigte sind oder  Flüchtlinge im Rechtssinne, d.h. im Sinne der Genfer Konvention aus Kriegsgebieten kommen oder anderweitig schutzberechtigt sind. Dies betrifft in Sachsen Anhalt vor allem Menschen aus Syrien. Mit Antragsstellung haben sie eine  Aufenthaltsgestattung bis über den Antrag entschieden ist. Erhalten sie einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, so haben sie anschließend in Deutschland eine gesicherte Bleibeperspektive und es steht denke ich  außer Frage, dass wir diese Menschen mit Ihren Qualifikationen, ihren Werdegängen und ihren Lebensläufen schnell und vorbehaltslos in unsere Gesellschaft, unser Bildungs- und Ausbildungssystem und in unseren Arbeitsmarkt integrieren sollten.

Es kommen darüber hinaus Menschen zu uns, die Asyl beantragen aber kein Schutzbedürfnis im rechtlichen Sinne haben, dies betrifft derzeit vor allem Antragsteller aus Westbalkanstaaten. Werden die Anträge negativ beschieden, so sind die Antragsteller ausreisepflichtig und erhalten bis dahin lediglich einen Duldungsstatus. Es ist aber eine Selbstverständlichkeit, dass auch diese Menschen in der Zeit, in der sie bei uns sind, nicht nur ordnungsgemäß untergebracht sind, sondern auch Unterstützung und Hilfestellung erhalten und Gastfreundschaft genießen. Es wurde in der Vergangenheit viel diskutiert, ob auch Menschen, die noch keine gesicherte Bleibeperspektive haben, also insbesondere auch Asylsuchenden und Geduldeten, mehr Integrationsangebote gemacht werden sollten. Mittlerweile sind sich eigentlich alle einig, dass die Vermittlung von Sprachkenntnissen und soziale Kontakte für alle ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger für die Zeit ihres Aufenthaltes unabdingbar und hilfreich sind. Daher ist auch vorgesehen für Zuwanderer, die rechtlich oder faktisch keinen Zugang zu Integrationskursen haben, „niederschwellige Sprachkurse“ anzubieten, damit allen zumindest Grundkenntnisse der deutschen Sprache für den Lebensalltag vermittelt werden. Dies halten wir schon aus humanitären Gründen für erforderlich.

Zuletzt wurde mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern eine grundsätzliche Befristung der räumlichen Beschränkung für Asylbewerber und geduldete Ausländer auf den Zeitraum von drei Monaten nach der Einreise vorgesehen, welche es ihnen ermöglicht, sich im gesamten Bundesgebiet frei zu bewegen und einen Arbeitsplatz zu suchen. Gerade an den letztgenannten Beispielen sollte deutlich werden, dass das, was man seit einiger Zeit „Willkommenskultur“ nennt und mittlerweile um den Begriff „Anerkennungskultur“ ergänzt,  damit beginnt, dass wir gegenüber allen Menschen, die nach Deutschland kommen, grundsätzlich eine wertschätzende Grundhaltung einnehmen. Das heißt, dass wir allen Menschen mit Höflichkeit, Respekt und Achtung entgegentreten, unabhängig davon, wie lange und unter welchen Rechtsbedingungen sie bei uns bleiben können. Nun wissen wir auch, dass sich Haltung nicht staatlich verordnen lässt, sie  muss vielmehr in allen Bereichen der  Gesellschaft unseres Landes aus Überzeugung gelebt werden. Hierfür ist das Engagement aller gesellschaftlichen Kräfte unseres Landes erforderlich.

Nach einer aktuellen Untersuchung der Bertelsmann Stiftung bekennen sich 59 Prozent der Deutschen dazu, Einwanderer willkommen zu heißen. Hier sind wir alle gefordert, die Zahl zu erhöhen und dazu beizutragen, dass eine ablehnende Haltung nicht in Feindseligkeit umschlägt. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang die Anmerkung, dass es uns dabei nicht hilft, wenn wir Bürger, die Integration mit Skepsis oder sogar mit Ablehnung betrachten, von vorneherein pauschal als ignorant und fremdenfeindlich abstempeln. Das hilft nicht bei Willkommenskultur, sondern im schlimmsten Fall eher den extremistischen Rändern. Durch Vorverurteilungen und Schubladendenken baut man keine Vorurteile ab, sondern nur durch Aufklärung, Information und die Bereitschaft miteinander ins Gespräch zu kommen. Staat und Landesregierung können dazu beitragen, indem sie die strukturellen Rahmenbedingungen schaffen oder unterstützen, unter denen Willkommenskultur leichter gelingt. Die Landesregierung und auch mein Haus sind in Sachsen-Anhalt mit dieser Zielstellung seit langem aktiv.

Was machen wir konkret hier in Sachsen-Anhalt? Wenn Menschen zu uns kommen, stellt sich als erstes die Frage: Wie kommen Menschen hier an und wer empfängt sie? Bei der Beantwortung nehmen die  Ausländerbehörden in der Willkommenskultur eine Schlüsselrolle ein, weil sie der behördliche und einer der ersten Ansprechpartner sind und einen ersten prägenden Eindruck hinterlassen. „Vom Abwimmelamt zum Servicecenter“ ließe sich dies etwas überspitzt formulieren. Dazu gehört, dass in den Ausländerbehörden mehr als bisher Mitarbeiter sowohl über  Fremdsprachenkenntnisse als auch über Auslandserfahrung und interkulturelle Kompetenz verfügen. Aus diesem Grund nimmt derzeit Sachsen-Anhalt an einem auf zwei Jahre angelegten Modellprojekt des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge teil, das Ausländerbehörden dabei begleitet, sich zu „Willkommensbehörden“ zu entwickeln. Dieses Modellprojekt, an dem neun weitere Bundesländer beteiligt sind, läuft noch bis Ende 2015. Auf kommunaler Ebene ist die Landeshauptstadt Magdeburg beteiligt. Um dieses Projekt auf alle Landkreise und kreisfreien Städte in Sachsen-Anhalt auszuweiten wird derzeit ein Anschlussprojekt  (mit Mitteln aus dem ESF) vorbereitet. Damit wollen wir mit den gewonnenen Erkenntnissen allen Ausländerbehörden im Land Hilfestellung bei der Weiterentwicklung zu Willkommensbehörden anzubieten, um den Servicegedanken zu stärken. Ziel ist es insbesondere, den Zuwanderern durch eine serviceorientierte Ausrichtung deutlich zu machen, dass ihr Aufenthalt im Rahmen der geltenden Vorschriften nicht nur erwünscht ist, sondern von den Behörden aktiv unterstützt wird.

An Hochschulstandorten soll eine stärkere Vernetzung zwischen Behörden und Hochschulen stattfinden und z.B. ein spezielles Terminmanagement für ausländische Studierende angeboten werden. Asylsuchende sollen ebenfalls so schnell wie möglich über die rechtlichen Rahmenbedingungen und weiteren Verfahrensschritte informiert werden. Und selbstverständlich besteht eine wertschätzende Grundhaltung auch gegenüber den Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wird und die ausreisepflichtig sind. Es ist zugleich aber kein Widerspruch dazu, dass eine Willkommenskultur lebende Ausländerbehörde ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt. Neben der Weiterentwicklung der Behörden zu Willkommensbehörden müssen und möchten wir auch in der Gesellschaft selbst die Entwicklung einer Willkommenskultur unterstützen.

Dazu fördern wir u. a. über unsere Integrationsrichtlinie eine ganze Reihe von lokalen Integrationsprojekten sowie die  alljährlichen Interkulturellen Wochen, die großen Anklang in den Kommunen finden. Um Austausch und Dialog zu fördern, ist es wichtig, Möglichkeiten zur Begegnung zu schaffen. Daher  wollen wir vor allem in ländlichen Gebieten interkulturelle Veranstaltungen fördern, die der Begegnung und dem Austausch dienen (z. B. interkulturelle Volksfeste sowie Kinder- und Jugendfeste, Ausstellungen über Minderheiten aus anderen Kulturkreisen, Informationsabende, Vorträge, Lesungen, Gesprächsrunden usw.). Ein weiterer wichtiger Bestandteil unserer Integrationsbemühungen ist die Förderung und Finanzierung der kommunalen Koordinierungsstellen für Integration in allen Landkreisen und kreisfreien Städten. Sie haben Netzwerkfunktion, so dass Integrationsangebote aufeinander abgestimmt und bedarfsgerecht weiterentwickelt werden können und hierdurch Willkommenskultur als kommunale Querschnittsaufgabe etabliert wird. Damit wird gewährleistet, dass Integrationsangebote auf kommunaler Ebene effektiv abgestimmt und bedarfsgerecht weiterentwickelt werden. Integration wird letztlich vor Ort entschieden und auch hier stellt sich wieder die Frage:  Wie kommen Menschen hier an und wer empfängt sie? Dazu gehört nicht  nur die freundliche Begrüßung neuer Gäste beim Erstkontakt, sondern auch die Begleitung nach Ankunft, sowie  Anerkennung und Teilhabe  am gesellschaftlichen Leben. Es uns daher wichtig, dass in den Kommunen neben den hauptamtlichen Ansprechpartnern die ehrenamtliche Begleitung verstärkt wird. Es ist in vielerlei Hinsicht gewinnbringend, wenn sich Lotsen oder Paten aus der einheimischen Bevölkerung finden, die den Ankommenden helfen, sich zurechtzufinden und sie mit ihrer neuen Umgebung vertraut machen. Bürger begegnen Menschen, die kommen um zu bleiben oder die zumindest eine Zeit lang bei uns zu Gast sein werden. Hier setzen wir auf die Konzepte der Kommunen vor Ort, die wir mit Koordinatoren, Material und Aufwandsentschädigungen für die Ehrenamtlichen unterstützen wollen. Kontakt und Kommunikation scheinen dabei zwei Schlüsselbegriffe zu sein. Kontakt und Kommunikation, gelebtes Miteinander und wachsendes Verständnis ist auch mit geringen Sprachkenntnissen bereits in einem Bereich möglich, dem schon immer völkerverbindendes bescheinigt wurde, dem Sport. Letztes Jahr haben wir gemeinsam mit dem LSB  ein „Sportfest der Integration“, durchgeführt, um Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zusammenzubringen, um sich gegenseitig kennenzulernen und gemeinsam miteinander Sport zu treiben.

Ebenso übernimmt das Ministerium die Ko-Finanzierung für das Bundesprogramm „Integration durch Sport“, dessen Budget auf 40.000 € erhöht wurde. Gemeinsam mit dem LSB planen wir, Vereine zu unterstützen, die Sportangebote für Asylsuchende unterbreiten. Warum ist Integration durch Sport so einzigartig? Neben dem sportlichen Wettstreit trägt Sport mit seinen vielfältigen Möglichkeiten erheblich dazu bei, dass sich Menschen unterschiedlicher Herkunft -auch über Sprach- und Kulturbarrieren hinweg- freundschaftlich und fair begegnen. Er ist ein Bindeglied, um einander  kennen und schätzen zu lernen und sich wechselseitig als Bereicherung zu empfinden. Gemeinsames Sporttreiben baut Vorurteile ab und das Interesse füreinander auf. Die Anbindung an einen Sportverein stärkt das Zugehörigkeitsgefühl des Einzelnen und  erleichtert zugleich den Prozess des Einlebens in das neue Umfeld mit all seinen Normen, Werten und Regeln.

Lassen Sie mich noch einen weiteren Aspekt erwähnen, der in der migrationspolitischen Debatte und auch in der Gestaltung einer Willkommenskultur  manchmal nicht genügend Beachtung findet: Die nach Deutschland kommenden Migranten sind alles andere als eine homogene Gruppe. Sie unterscheiden sich vielmehr in mannigfacher Hinsicht, z. B nach Herkunftsland, Bildungsgrad und sozialen Verhältnissen. Es gehört zu den zentralen Herausforderungen der Integrationspolitik, für diese unterschiedlichen Zielgruppen die jeweils passenden Angebote zu schaffen. Denn es ist offenkundig, dass etwa für zu ihren Familien in Deutschland nachziehende Ehegatten ein anderes Beratungsangebot erforderlich ist als für ausländische Studierende. Wir müssen daher auch weg von einer verkürzten Sichtweise, nach der Einwanderer in Deutschland weiterhin entweder als Armutsmigranten abgetan oder gefürchtet werden oder von der Wirtschaft als schnelle  Lückenfüller für den Arbeits- und Fachkräftemangel verstanden werden. Fachkräftemangel und demografischer Wandel sind sicherlich die Punkte, an denen am deutlichsten wird, dass unsere Gesellschaft vor Herausforderungen und Umbrüchen steht, aber letztlich  ist die entscheidende Frage, wie wir in Zukunft Deutschland gestalten mit den Menschen, die hier leben und dabei gemeinsam den sozialen Frieden und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken.

Integration sowie die Etablierung einer Willkommenskultur sind also  Zukunftsaufgaben, an der Zugewanderte und Einheimische ebenso wie alle staatlichen Ebenen und alle Teile der Zivilgesellschaft  gemeinsam und dauerhaft arbeiten müssen. Ich wünsche mir daher auch von dieser Konferenz weitere Impulse und der Veranstaltung ein gutes Gelingen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Der Beitrag erschien zuerst auf www.wirtschafts-thurm.de

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