Überzeugungen – Trojaner im Kopf?

Überzeugungen sind die Grundlage des Handelns. Verantwortliches Handeln erfordert kluge Entscheidungen. Kluge Entscheidungen entstehen durch kluges Denken – unter anderem. Doch schon da wird es schwierig: Was macht denn überhaupt kluges Denken aus?

Überzeugungen können Umdenken verhindern

Wenn ich als Kind etwas verbockt hatte und mich dann verteidigte mit „Aber ich dachte doch…“, bekam ich von meiner Mutter stereotyp zu hören: „Du sollst nicht denken, sondern nachdenken!“. Wenn sie recht hat, dürfte es sich lohnen, über das Nachdenken nachzudenken…

Überlassen wir der Neurowissenschaft die komplizierten physiologischen Erklärungen und beschränken uns hier auf die Alltagserfahrung: Offenbar bewegt sich unser Denken in zwei unterschiedlichen Kategorien. Die erste ist ein praktisches Denken, das, ähnlich wie bei einem Computer, in programmierten Bahnen verläuft und für unser alltägliches Funktionieren (durchaus auch für anspruchsvolle Aufgaben) gute Dienste leistet. Die zweite ist ein – im wahrsten Sinne des Wortes – darüber hinausgehendes Denken, das eher dem „Programmierer“ entspricht, der sich außerhalb der Programme bewegt und diese aktiv steuern kann. Spätestens dort, wo gewohnte Bahnen immer wieder in Sackgassen münden, ist der „Programmierer“ gefordert, denn nur er kann umdenken.

Umdenken ist jedoch nicht immer selbstverständlich, besonders wo es fundamentale „Programme“ betrifft: unsere Überzeugungen.

Jedem Entscheiden und Handeln liegen Überzeugungen zugrunde; das gilt von der Wahl der Automarke bis zum Sinn des Lebens. Von unseren Überzeugungen hängt ab, wie wir Kinder erziehen, wie wir mit Ressourcen umgehen, welche Ziele wir anstreben. Ethische Prinzipien, politische oder wirtschaftliche Systeme, sie alle sind keine Naturgesetze, sondern basieren auf Überzeugungen. Und diese haben mal mehr, mal weniger weitreichende Auswirkungen.

Das Dilemma von Überzeugungen

Die Schwierigkeit bei Überzeugungen: Sie können der Wahrheit entsprechen – oder auch nicht. Nichtsdestotrotz werden sie durchweg für wahr gehalten. Ohne die Überzeugung, dass die Erde eine Kugel ist, wäre Christopher Columbus niemals Richtung Westen nach Indien aufgebrochen. Wie gut für ihn und seine Mannschaft, dass diese Überzeugung zutraf, sonst wären sie am Ende der Erde ins Bodenlose gestürzt. Ebenso überzeugt war er, tatsächlich in Indien gelandet zu sein – was zwar nicht stimmte, doch wenigstens keine gravierenden Konsequenzen hatte.

Viele Probleme entstehen, weil wir unsere Überzeugungen so verinnerlicht haben, dass sie uns kaum noch bewusst sind. Gerade aber wo sie über unsere persönliche Lebensgestaltung entscheiden oder sich auf berufliche, soziale und politische Verantwortung auswirken, gehören sie hin und wieder bewusst auf den Prüfstand.

Fragezeichen im Kopf Überzeugungen
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Überzeugungen ehrlich zu prüfen, ist allerdings nichts für Feiglinge: Was tun, wenn die Prüfung Bisheriges radikal infrage stellt und ein Umdenken einschneidende Konsequenzen nach sich zieht? Schon das ist für Viele ein Grund, einmal eingeschlagene Wege hartnäckig weiter zu verfolgen und Überzeugungen gar nicht erst zu Ende zu durchdenken. Doch für verantwortungsbewusstes Denken ist eine solche Bereitschaft zu Veränderungen unverzichtbar; sie erst macht es möglich, Sackgassen zu verlassen und sich neuen Lösungen zuzuwenden. Der Weg dorthin beginnt mit Fragezeichen.

Lob des Zweifels

Fragezeichen sollten spätestens dann eine Überzeugung umkreisen, sobald wir Erfahrungen machen, die nicht mit ihr übereinstimmen, oder wenn wir mit gewichtigen Gegenargumenten konfrontiert werden. Der Zweifel, der so ins Spiel kommt, ist ein wertvoller Ratgeber in Richtung Wahrheit bzw. Stimmigkeit.

Zweifel kann durch alleiniges Nachdenken entstehen (wie bei der Prüfung einer Formel, die nicht aufgeht), öfter aber wird er, sofern wir dazu bereit sind, durch Kommunikation mit Andersdenkenden ausgelöst. Gespräche oder andere Informationsquellen machen uns auf Widersprüchliches aufmerksam, das wir dann weiter verfolgen können.

Gespräch zwischen Glühbirne und Fragezeichen
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Aber gerade bei der Konfrontation mit anderen Sichtweisen bringt uns zuweilen ein unerwarteter Fallstrick ins Stolpern: die Gefühle. Dann löst ein Gegenargument nicht folgerichtige weitere Gedanken aus, sondern eine spontane Gefühlsreaktion, eine emotionale Abwehr gegen Andersdenkende und deren (vermeintliche) Kritik. Wo wir uns von einer solchen Erstreaktion wie Ärger, Wut oder Angst vereinnahmen lassen, folgt dann eher ein Schlagabtausch von Rechthabereien, anstatt dass wir der Wahrheit näherkommen – achten Sie mal in Talkshows darauf!

Gefühle, die das Denken prüfen

Also Gefühle lieber aus der Reflexion heraushalten? Keineswegs. Im Gegenteil, zur Prüfung unseres Denkens ist Gefühl geradezu unerlässlich. Allerdings eben nicht die oberflächlich aufwallenden Emotionen oder Befindlichkeiten, sondern ein tiefer liegendes Gespür (das sich ja ebenfalls gefühlt bemerkbar macht). Wir spüren z.B., dass „etwas nicht stimmt“, längst bevor es vom Denken erfasst werden kann, und auch die Stimme des Gewissens macht sich in subtilen Empfindungen bemerkbar.

Insofern ist das Gespür (oft auch „Bauchgefühl“ genannt – mehr dazu in einem weiteren Artikel) eine wichtige Orientierungshilfe bei der Klärung von Gedanken: In diesem Gespür sind wir unseren Wahrnehmungen und damit unserer Wahrheit besonders nah. Solange es Diskrepanzen zu dieser innersten Gefühlsebene gibt, ist eine Denkweise noch nicht authentisch. Sobald aber dieses Gespür sein Okay gibt, öffnen sich neue Einsichten mit der Chance, Erfahrungen unter diesem Blickwinkel zu machen, abzugleichen und Überzeugungen authentisch auszurichten.

Überzeugungen auf dem Prüfstand

Unter Berücksichtigung dieser Gefühlsebene helfen dann fünf einfache Fragen dabei, Überzeugungen zu Ende zu durchdenken:

  • Wie lautet meine Überzeugung, konkret formuliert?
  • Woher kommt sie, und welche Glaubwürdigkeit billige ich dieser Quelle zu?
  • Welche Argumente oder Erfahrungen widersprechen ihr, und wie verhält es sich hier mit der Glaubwürdigkeit?
  • Wie kann ich den Wahrheitsgehalt der einen wie der anderen Seite tiefer ergründen?
  • Welche Konsequenz ziehe ich daraus – zumindest vorläufig – für mein künftiges Handeln?

Diese Fragen führen durch den Zweifel hindurch vielleicht zu einer anderen Sichtweise, oder sie bekräftigen die bisherige umso mehr. Viel ist schon gewonnen, wenn durch eine solche Reflexion die feste Überzeugung zu einer Meinung aufweicht, die andere Möglichkeiten zumindest nicht ausschließt. Während sich unsere Sicht auf Dinge durch Überzeugungen verengt, wird sie durch Meinungen erweitert.

Auf den Punkt gebracht heißt das: Überzeugungen sind Ausgangspunkt für unser Handeln und sollten deshalb gelegentlich geprüft werden. Diese Prüfung erfolgt in einer ständigen Interaktion mit drei weiteren „Mitspielern“: der grundsätzlichen Bereitschaft, die eigene Einstellung zu verändern, der Aufnahme von Informationen  sowie dem Abgleich mit Gefühlen. Diese vier stetig aufeinander einwirkenden menschlichen Fähigkeiten (Denken, Fühlen, Kommunikation und Veränderungsbereitschaft) bestimmen unsere Entscheidungen, in allen alltäglichen wie grundlegenden Belangen. Ihr Zusammenspiel bewusst zu machen, macht Entscheidungen auf einfache Weise authentischer und fundierter.

Mehr über dieses Zusammenspiel zu authentischer Selbst-Entwicklung finden Sie in meinen Büchern „Das Tiefgangprinzip – einfacher zum Wesentlichen“ und „Das Tiefgangprinzip in der therapeutischen Begleitung

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