Flirten macht Laune. Und es erfordert gar nicht viel Talent, allenfalls etwas Übung. Ähnlich ist es mit Jura: Wissen allein reicht nicht. Man muss es auch anwenden können. Hier hilft das Lernen mit Fällen. Und genau darum geht es in den nächsten fünf Beiträgen. Teil 1 verrät, was es bringt und wie man sich dran macht.
7 Fragen – 7 Antworten
Jura klebt manchmal das Etikett an, etwas trocken und langweilig zu sein. Völlig zu Unrecht. Es ist sogar ganz im Gegenteil ein sehr praxisbezogenes Studienfach. Schon im Studium ist man oft gefordert, Fälle zu lösen. Aber wie funktioniert das? Ganz sicher nicht, indem man nach vergleichbaren Fällen sucht (oder womöglich ganze „Falllösungen“ auswendig lernt). Anders als beispielsweise in den USA oder Großbritannien, gibt es hierzulande kein so genanntes „Fallrecht“. Man braucht also nicht in der Vergangenheit zu kramen (auch wenn die Praxis das manchmal doch tut. Aber das ist eine andere Geschichte …).
Hierzulande hat sich für das Lösen von Fällen eine spezielle Herangehensweise entwickelt. Manchmal spricht man dabei von der Methodik der Fallbearbeitung oder ganz einfach der Rechtsanwendung. Wie auch immer Sie das Vorgehen nennen wollen, in erster Linie ist es handwerkliches Können. Dieses Handwerk zu beherrschen, gehört zu den grundlegenden juristischen Fertigkeiten. Die gute Nachricht: Das ist kein Hexenwerk. Unzählige Studierende haben das schon gemeistert. Es bedarf vielleicht ein bisschen Übung – ganz so, als wollte man lernen, ein Instrument zu spielen, etwa Klavier oder Gitarre. Oder eine Sportart trainieren. Oder halt zu flirten.
Dem Lernen mit Fällen Aufmerksamkeit zu widmen, bietet sich aus unterschiedlichen Gründen an. Insbesondere ist die Fallbearbeitung
- oft Gegenstand von Prüfungen (allein deshalb sollte man sich entsprechend vorbereiten!)
- eine gute Gelegenheit, den Lernstoff noch einmal durchzugehen und damit zu festigen
- sinnvoll, um im Fall der Fälle mit dem „Handwerkzeug“ professionell umgehen zu können.
- nützlich, weil man Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden lernt
- eine willkommene Chance, sich im Umgang mit der zur Verfügung stehenden Zeit zu üben
Apropos Zeit: Zwar kostet das Lernen mit Fällen durchaus Zeit. Die dürfte aber gerade mit Blick auf die Prüfungsrelevanz gut investiert sein.
Damit die Fallbearbeitung künftig kein Buch mit sieben Siegeln mehr ist, gibt es nachfolgend nun sieben Fragen und sieben Antworten rund um das Lernen mit Fällen.
Ab wann sollte ich mich mit dem Lösen von Fällen befassen?
Typischerweise wird die Fallbearbeitung schon in den ersten Semestern vermittelt. Sobald die ersten Rechtskenntnisse da sind, spricht nichts dagegen, auch in die Fallbearbeitung einzusteigen. Spätestens, wenn die Rechtsanwendung in Vorlesungen, Seminaren oder Tutorien auf den Tisch kommt, wird es Zeit, sich eingehender damit zu befassen.
Wo findet man geeignete Fälle?
Fälle gibt es reichlich. Zum einen sind sie Gegenstand vieler Lehrveranstaltungen. Sofern dort schon vorab Übungsfälle zur Verfügung gestellt werden, kann man die natürlich bestens vorbereiten. Zum anderen werden eigens Bücher mit Fällen samt Lösungen angeboten. Solche Fallsammlungen gibt es für jedes Niveau, für Einsteiger ebenso wie für Fortgeschrittene. Es müssen ja nicht gleich die für die Examenskandidaten sein.
Hier lohnt auch ein Gang in die Bibliothek. Gerade für Einsteiger und Nichtjuristen bewährt haben sich beispielsweise die “Standardfälle” vom Verlag niederle media, die es zu den unterschiedlichsten Rechtsfächern gibt. Auch Repetitorien, wie etwa Hemmer, bieten spezielle Fallsammlungen an, die sich auch (aber nicht nur) an Einsteiger wenden, wie etwa die Reihe “Die wichtigsten Fälle”. (Es gibt weitere Anbieter. Wer entsprechende Empfehlungen hat, kann gern unten einen Kommentar hinterlassen).
Fallsammlungen haben gleich mehrere Vorteile: Inhaltlich decken sie typische Klausurprobleme ab. Zudem lassen sich gezielt Fälle mit einem bestimmten thematischen Schwerpunkt heraussuchen (z. B. im Bürgerlichen Recht zur Anfechtung, Stellvertretung etc.). Darüber hinaus sind die Lösungen recht ausführlich, sodass man die eigene Lösung mit der „Musterlösung“ abgleichen kann.
Wie gehe ich am besten vor?
Wenig zielführend ist es, sich den Sachverhalt eines Falles durchzulesen und sich dann gleich nahtlos die Lösung anzusehen. Wer einen wirklichen Lerneffekt haben möchte, kommt nicht umhin, sich die Lösung eines Falles erst selbstständig zu erarbeiten. Am besten ist es, die wesentlichen Eckpunkte im Rahmen einer Lösungsskizze festzuhalten. Solche Lösungsskizzen kann man ganz wunderbar mit Mind-Maps anfertigen.
Erst nach der eigenen Gedankenarbeit vergleicht man den gefundenen Lösungsweg mit der Musterlösung. Aber auch erst dann. Man sollte sich nicht davor scheuen, Abweichungen zu analysieren. Das hat einen wirklichen Effekt, getreu der Devise: aus Fehlern lernen. Wo gab es Unterschiede in der Lösung und warum? Was kann man beim nächsten Mal besser machen?
In welchen Schritten man einen Fall lösen kann, dazu gibt es eigens mehr im 2. Teil dieser kleinen Serie zu „Lernen mit Fällen“.
Wie mustergültig sind Musterlösungen?
Auch wenn man oft von „Musterlösungen“ spricht, sollte man sie als das ansehen, was sie sind, nämlich Muster. Niemand wird exakt den vorgeschlagenen Lösungsweg treffen. Kleinere Abweichungen wird es immer geben. Das muss nicht bedeuten, dass die eigene Lösung unbrauchbar wäre. Bei größeren Abweichungen sollte man den Unterschieden aber doch einmal auf den Grund gehen.
Worauf sollte ich besonders achten?
Wer die Weichen zu Beginn nicht richtig stellt, gerät auf ein ganz anderes Gleis. Daher ist es wichtig, auf den richtigen Einstieg in die Falllösung zu achten. Im Privatrecht kommt es beispielsweise darauf an, den Fall ausgehend von einer richtigen Anspruchsgrundlage zu lösen. Hat man die passende(n) Anspruchsgrundlage(n) gefunden und hält man sich im Übrigen an ein paar weitere Regeln (die in den nächsten Beiträgen noch genauer vorgestellt werden), sollte der Fall zumindest nicht komplett aus dem Ruder laufen.
Wie viel Zeit sollte ich investieren?
Diese Frage betrifft zweierlei: Zum einen geht es darum, wie viel Zeit man für das Lernen mit Fällen generell aufwenden sollte. Dies lässt sich jedoch nicht pauschal sagen. Wer aber zusätzlich zu jeder Lehrveranstaltung einen Fall selbstständig zu lösen versucht, kommt pro Semester auf mehr als ein Dutzend Fälle. Das ist schon eine Leistung.
Zum anderen geht es um die Frage, wie viel Zeit man einem Fall selbst widmen sollte. Das kommt ganz darauf an. Ist das Lösen eines Falles Gegenstand einer Prüfung und beträgt die Prüfungszeit z. B. 90 oder 120 Minuten (was oft der Fall ist), dann bietet das eine gute Orientierung: Das Durchdenken des Falles und das Erstellen einer Lösungsskizze sollte nicht mehr als die Hälfte der Prüfungszeit betragen (eher etwas weniger). Dann bleibt im Ernstfall noch ausreichend Zeit für die reine Niederschrift. Wer für sich zu Hause (oder anderswo) Fälle löst, kann für das Erstellen der Lösungsskizze durchaus noch etwas weniger Zeit veranschlagen. Hier ist es auch nicht notwendig, jeden Fall komplett auszuformulieren.
Ich tue mich schwer, was soll ich machen?
Wer das Gefühl hat, das Lösen von Fällen will einem partout nicht gelingen, der sei noch einmal an das obige Zitat erinnert: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Hier heißt es dranbleiben und nicht zu schnell die Flinte ins Korn zu werfen. Wie beim Flirten. Bei Jura fragt man sich, woran es liegt: Fehlt es an Rechtskenntnissen? Die lassen sich problemlos aneignen. Oder ist das Vorgehen, also die Rechtsanwendung noch unklar? Auch dieses Problem lässt sich beheben (die nächsten Beiträge zeigen, wie das gelingt).
Tipps für die Lernstrategie
Das Lernen mit Fällen sollte auf jeden Fall Teil der eigenen Lernstrategie sein, wenn die Rechtsanwendung auch in den Lehrveranstaltungen und vor allem Prüfungen eine Rolle spielt. Wer das für sich bejaht, tut gut daran, sich mit dem Vorgehen vertraut machen und sich die entsprechenden Fertigkeiten aneignen.
Dabei braucht man gar nicht sonderlich perfektionistisch an die Sache heranzugehen. Erheben Sie für sich also gar nicht erst den Anspruch, sämtliche denkbaren Fälle einmal gelöst haben zu wollen. Viel wichtiger ist es, sich das grundlegende Handwerkszeug anzueignen und immer wieder ins kalte Wasser zu springen. So gewinnt man auch etwas Routine und kann selbst unbekannte Fälle meistern.
Wer auf Möglichkeiten achtet, findet viele Gelegenheiten, das Lernen mit Fällen zu trainieren, sei es in den Lehrveranstaltungen, in einer Lerngruppe oder in Eigenregie. Gerade in Lehrveranstaltungen oder einer Lerngruppe lassen sich auch auftauchende Fragen leicht klären.
Erfolgsmomente
- Wenn die Vorgehensweise klar ist
- Wenn man sich ganz auf die Inhalte konzentrieren kann
- Wenn deutlich wird, wohin die Reise geht
Das Wichtigste auf einen Blick
Und wie sind die eigenen Erfahrungen mit der Fallösung? Du kennst andere, denen die Anregungen nützen können? Dann teile den Beitrag mit Freunden.
Ich habe im September meine Ausbildung zur Verwaltungswirtin begonnen und nun seit 2 Wochen Unterricht. Ein paar Begriffe sind bereits gefallen, aber so richtig in der Materie sind wir noch nicht. Eine Übung haben wir auch bekommen. Verstehe aber nur Bahnhof und steh wie’n Ochs vorm Berg… Habe mir jetzt den ersten Teil durchgelesen und hoffe, dass Sie mir das Licht am anderen Ende des Tunnels bringen… Bin optimistich… Danke und viele Grüße
Vielen Dank für Ihre Anmerkung. Bei Jura ist es wie bei vielen Sportarten – oder wie beim Lernen eines Musikinstruments: Es braucht etwas Zeit und Übung. Freue mich, wenn Sie hier vielleicht weitere Anregungen bekommen, die “juristische Welt” für sich zu entdecken. Herzliche Grüße, André Niedostadek