In kaum einer anderen Abteilung prallen Kreativität, Tempo und Leistungsdruck so unmittelbar aufeinander wie im Marketing und in der Kommunikation. Ideen sollen in Sekunden zünden, Kampagnen Erfolge bringen, Marken Geschichten erzählen, die zugleich emotional, datengetrieben und effizient sind. Zwischen Deadlines, Feedbackschleifen und digitalen Dashboards verlieren viele das, was eigentlich der Motor ihrer Arbeit ist: das Gefühl, dass das, was sie tun, Sinn ergibt.
Sarah Manthey zeigt in ihrer Studie eindrücklich, dass genau hier sinnorientierte Führung ansetzt – und dass sie weit mehr ist als ein weichgespültes Schlagwort aus der Purpose-Welle. Sie ist, richtig verstanden, eine Antwort auf die zentrale Frage moderner Wissensarbeit: Wie können Führungskräfte Motivation wecken, die nicht von Boni oder Likes abhängt, sondern von echter Bedeutung?
Wenn Führung Sinn ermöglicht
Ausgangspunkt der sinnorientierten Führung ist das Menschenbild des Psychiaters Viktor E. Frankl. Er war überzeugt: Der Mensch ist kein Wesen, das nur nach Lust strebt oder Schmerz vermeidet – er ist ein Sinnsucher. Dieses Streben nach Sinn, die sogenannte logofokale Motivation, ist laut Frankl der tiefste Antrieb unseres Handelns.
Die Autorin überträgt diesen Gedanken auf die moderne Arbeitswelt: Führung kann dann erfolgreich sein, wenn sie Mitarbeitenden Räume eröffnet, in denen sie Sinn finden und verwirklichen können. In Marketing- und Kommunikationsabteilungen bedeutet das: Menschen wollen nicht nur Kampagnen umsetzen, sondern verstehen, wozu sie es tun. Sie möchten erleben, dass ihre Arbeit zu etwas Größerem beiträgt – etwa dazu, gesellschaftliche Debatten zu gestalten, Werte zu vermitteln oder Innovationen sichtbar zu machen.
Beziehung statt Anweisung
Manthey beschreibt Führung als Beziehungsgestaltung – ein dynamisches Zusammenspiel aus Selbstreflexion, Kommunikation und Vertrauen. Führung entsteht nicht allein durch Position oder Hierarchie, sondern in der Interaktion zwischen Führungskraft und Team.

Wie in der Abbildung „Die Führungsquadranten“ gezeigt, bewegt sich sinnorientierte Führung auf vier Ebenen: dem individuellen Innen (Selbstführung), dem individuellen Außen (direkte Mitarbeitendenführung), dem kollektiven Innen (Teamkultur) und dem kollektiven Außen (Beziehungen zu Stakeholdern).
Diese Quadranten machen deutlich: Sinnorientierte Führung ist kein einzelner Führungsstil, sondern ein Balanceakt zwischen persönlichen Haltungen, organisationalen Strukturen und sozialer Verantwortung. Sie verlangt, dass Führungskräfte sich selbst kennen, Sinn im eigenen Tun erleben und diesen glaubwürdig weitergeben.
Sinn als Gegengift zum Motivationsverlust
In der Praxis bedeutet das, dass Sinnorientierung Motivation nicht ersetzt, sondern vertieft. Während klassische Führungsmodelle oft auf äußere Anreize setzen – Boni, Beförderungen, Zielvereinbarungen – geht es bei der sinnorientierten Führung um intrinsische und logofokale Motivation: um die Freude an der Tätigkeit, um den Beitrag zum Ganzen, um das Erleben von Bedeutsamkeit.
Gerade in kreativen Berufen ist diese Form der Motivation entscheidend. In Marketing und Kommunikation ist die Arbeit selten messbar, die Erfolge oft flüchtig. Wer hier langfristig motiviert bleiben will, braucht mehr als Lob oder Gehalt. Er braucht Resonanz – das Gefühl, gesehen zu werden, und die Erfahrung, dass Ideen etwas bewirken.
Sinnorientierte Führung schafft dafür den Rahmen: durch klare Werte, echte Dialogkultur und Aufgaben, die als bedeutsam erlebt werden. Führungskräfte, die dies verstehen, fördern nicht nur Engagement, sondern auch psychische Gesundheit. Denn wer Sinn erlebt, empfindet Stress als Herausforderung, nicht als Bedrohung.
Zwischen Purpose und Performance
Der oft zitierte „Purpose“ eines Unternehmens bleibt wirkungslos, wenn er nur auf der Website steht. Manthey betont: Der organisationale Sinn muss auf allen Ebenen gelebt werden – vom Strategiemeeting bis zum Team-Check-in. Führungskräfte werden so zu Übersetzern des Purpose in den Alltag.
Gerade in Marketing- und Kommunikationsabteilungen, die ständig zwischen externem Image und internem Druck vermitteln, wirkt diese Übersetzung wie ein kultureller Anker. Wenn Mitarbeitende verstehen, wie ihre Arbeit zur Markenidentität, zur gesellschaftlichen Wahrnehmung oder zur nachhaltigen Entwicklung beiträgt, entsteht Motivation, die über kurzfristige Kampagnenerfolge hinausgeht.
Dialog als Kern sinnorientierter Führung
Ein zentrales Element der sinnorientierten Führung ist laut Manthey die sinnorientierte Dialogkultur. Sie basiert auf Offenheit, Wertschätzung und Authentizität – einer Kommunikation, die nicht kontrolliert, sondern verbindet. Führungskräfte sollen nicht nur Informationen weitergeben, sondern zuhören, reflektieren und gemeinsam mit dem Team Sinn schaffen.
Elisabeth Lukas, Schülerin Frankls, formulierte es treffend: „Wo Menschen liebevoll miteinander kommunizieren, dort wenden sie sich an das Beste im Gegenüber.“ Die Verfasserin überträgt diesen Gedanken auf die Führungsrealität moderner Organisationen: Kommunikation wird zum zentralen Werkzeug sinnorientierter Führung – nicht als Instrument, sondern als Ausdruck einer Haltung.
Praktische Handlungsempfehlungen
Aus den empirischen Ergebnissen leitet Manthey konkrete Empfehlungen ab:
- Selbstführung als Basis: Führungskräfte müssen ihren eigenen Sinn reflektieren, um glaubwürdig führen zu können.
- Werte sichtbar machen: Gemeinsame Werte sollten im Alltag erlebbar sein, etwa durch Feedbackrituale oder gemeinsame Projekte.
- Raum für Sinn schaffen: Aufgaben so gestalten, dass Mitarbeitende Verantwortung übernehmen und die Bedeutung ihres Beitrags erkennen.
- Dialogkultur fördern: Regelmäßige Gespräche über Sinn, nicht nur über Ziele, stärken die emotionale Bindung.
- Erfolge im Kontext des Sinns feiern: Anerkennung wirkt tiefer, wenn sie den Beitrag zum gemeinsamen Zweck betont.
Mehr Motivation durch Sinn – ein Führungsparadigmenwechsel
Sinnorientierte Führung ist kein Luxus für Idealisten, sondern eine strategische Notwendigkeit in Zeiten des Fachkräftemangels und der Sinnkrise der Arbeit. Sie verändert, wie Führung gedacht und gelebt wird – von Kontrolle zu Vertrauen, von Anweisung zu Beziehung, von Zielerfüllung zu Sinnverwirklichung.
Gerade Marketing- und Kommunikationsabteilungen, in denen Kreativität, Dynamik und Identität Hand in Hand gehen, profitieren besonders von dieser Haltung. Denn wo Sinn erlebt wird, wächst Motivation – nicht als kurzfristiger Schub, sondern als nachhaltige innere Kraft.
Sinnorientierte Führung verbindet so, was lange als Gegensatz galt: Menschlichkeit und Leistung, Empathie und Effizienz, Purpose und Profit. Sie zeigt, dass Motivation nicht gemacht, sondern ermöglicht wird – durch Führung, die Sinn gibt, weil sie selbst Sinn hat.
Buchhinweis:
Sarah Manthey (2025): Entwicklung von Handlungsempfehlungen zur Gestaltung sinnorientierter Führung zur Förderung der logofokalen Motivation von Mitarbeitenden in Marketing- und Kommunikationsabteilungen.
Thurm Wissenschaftsverlag, Lüneburg.
