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Hochschulautonomie: Warum eine Hochschule ein kleiner Staat im Staate ist

Sowohl gute Lehre als auch gute Forschung sind in hohem Maße von der individuellen Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit der Lehrenden und Forschenden abhängig. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (sowie auch sämtliche Landesverfassungen) garantiert deshalb in Artikel 5, Absatz III, dass – neben der Kunst – Wissenschaft, Forschung und Lehre „frei sind“. Diese grundgesetzlich garantierte Freiheit der Wissenschaft, die der Gesetzgeber als untrennbaren Einklang von Freiheit der Forschung und Freiheit der Lehre definiert hat, schlägt sich in der praktischen Umsetzung insbesondere in der sogenannten Hochschulautonomie nieder.

Hochschulautonomie bikablo skizze
Hochschulautonomie bikablo Hochschulgesetz

Unter der „äußeren Autonomie“ von Hochschulen (d.h. der Autonomie gegenüber dem Staat) versteht man im Wesentlichen, dass diese sich selbstverwaltet organisieren und etwa über ihre Grundordnung – quasi die „Verfassung“ einer Hochschule – oder über die Inhalte der Studien- und Prüfungsordnungen für einzelne Studiengänge eigenständig in intern gewählten Gremien wie Rektorat, Senat oder Fachbereichsräten beraten und entscheiden dürfen. Darüber hinaus genießen an Hochschulen beschäftigte Forschende und Lehrende – im Rahmen ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen – „innere Autonomie“ (d.h. eine Autonomie gegenüber der Hochschule) und damit die Möglichkeit, Lehrveranstaltungen und Forschungsvorhaben frei von den Vorgaben Dritter zu gestalten. Welche Vorlesungsinhalte sie zum Gegenstand einer Prüfung erklären oder welche Hypothese sie im Rahmen eines Projekts testen, ist also (weitgehend) ihnen selbst überlassen.

Ein wesentlicher Vorteil der Hochschulautonomie besteht darin, dass sie die den Bundesländern (Bildung ist Ländersache) unterstellten Hochschulen von der Kurzfristigkeit landespolitischer Entwicklungen entkoppelt und sie damit dem politischen Gestaltungswillen zumindest ein Stück weit entzieht. Die in vielen Bundesländern regelmäßig mit jedem Regierungswechsel zum Leidwesen vieler Schüler, Eltern und Lehrer neu angestoßenen „Schulreformen“ lassen erahnen, welche Instabilität dem Hochschulen – und damit welche Untersicherheit sowohl den Studierenden als auch der Belegschaft – drohen würde, dürfte jede neue Landesregierung sich gemäß ihrer ideologischen Ausrichtung etwa im Hinblick auf Forschung zu Klimawandel oder Gentechnik „austoben“.

Hochschulautonomie bikablo Förderprogramme, F&E, Selbstverwaltung


Dies bedeutet übrigens nicht, dass die Landespolitik keinen Einfluss auf Forschung und Lehre an Hochschulen ausüben könnte, sondern nur, dass dieser Einfluss gewisse Grenzen hat. Tatsächlich wirkt die Politik sowohl über die finanzielle Ausstattung der Hochschulen als auch über die Auflage von Förderprogrammen für die Forschung erheblich auf die Arbeit von Hochschulen ein. Sie ist aber insofern eingeschränkt, als dass ihr gesetzgeberischer Auftrag auf die Frage begrenzt ist, wie die Wissenschaftsfreiheit verwirklicht werden soll – die Freiheit an sich aber nicht zur Diskussion gestellt werden kann.

Hochschulautonomie Selbstverwaltung Bikablo, Organisation, Lehre, Verwaltung

Folgt man der Definition von Hochschulautonomie durch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), so ist eine weitere Unterteilung in finanzielle, rechtliche, organisatorische und personelle Autonomie möglich. Während die rechtliche Autonomie – die Hochschulen verfügen über eine eigenständige Organisationsstruktur, die Länderministerien führen die behördliche Rechtsaufsicht und steuern die Hochschullandschaft höchstens indirekt über langfristige Zielvereinbarungen – in allen Bundesländern weitgehend verwirklicht wurde, bestehen hinsichtlich der finanziellen, personellen und organisatorischen Autonomie von Bundesland zu Bundesland noch größere Unterschiede. So gehören etwa Gebäude und Flächen in vielen Fällen nicht den Hochschulen selbst, die meist auch nicht über das Recht zur Kreditaufnahme verfügen und sich oft an verbindlichen Stellenplänen des Landes orientieren müssen. Die HRK forderte die Bundesländer in einer 2011 verabschiedeten Stellungnahme nachdrücklich dazu auf, insbesondere die finanzielle Autonomie dadurch zu verbessern, dass die für die Hochschulen vorgesehenen Mittel diesen als Globalbudgets zur Verfügung gestellt werden – über die Verwendung der Gelder also vollständig durch hochschulinterne Gremien entschieden werden kann.

Hochschulautonomie Diversivikation Studiengangswechsel

Die allen Einschränkungen zum Trotz bereits sehr weitgehende Autonomie der Hochschulen musste über die Jahrzehnte übrigens gegen viele Widerstände hart erkämpft werden: Noch bis in die 90er Jahre hinein war das deutsche Hochschulwesen in hohem Maße unselbständig. Wer unterrichten und sich immatrikulieren durfte, welche Prüfungen abzulegen waren und welcher Stoff ins Curriculum gehörte, wurde bis vor 20 Jahren noch größtenteils in Landesbehörden entschieden. Erst mit der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes des Bundes im Jahr 1998 wurde den Ländern die Möglichkeit gegeben, ihre Hochschulen über entsprechende Anpassungen in den jeweiligen Landeshochschulgesetzen von bürokratischem Ballast zu befreien – eine Möglichkeit, von der fast alle Bundesländer auch zeitnah Gebrauch machten.

Wenn freiere Lehre bessere Lehre und freiere Forschung erfolgreichere Forschung bedeuten, stellt sich natürlich die Frage, ob die Hochschulautonomie überhaupt mit Nachteilen für Studierende verbunden sein kann. Tatsächlich teilt das deutsche Hochschulwesen mindestens einen nicht unerheblichen Nachteil mit anderen Bildungssystemen, die einen gewissen Grad an Diversifikation aufweisen: Da nominal gleiche Studiengänge sich in ihrer Fächerzusammenstellung und inhaltlichen Schwerpunktsetzung teils erheblich voneinander unterscheiden können, kann ein Hochschulwechsel während des laufenden Studiums oder beim Wechsel von einem Bachelor- in einen Master-Studiengang in Einzelfällen mit Problemen verbunden sein – eine Hürde, die durch die bessere Dokumentation der Lehrinhalte in Modulhandbüchern im Rahmen des Bologna-Prozesses immerhin schon erheblich gesenkt wurde.

Als wertvolles Gut muss die Hochschulautonomie gerade in Zeiten von Sparprogrammen und eng gewebten Landeshaushalten bedauerlicherweise immer wieder aufs Neue verteidigt werden. Während die Verwirklichung einer echten Freiheit von Forschung und Lehre voraussetzt, dass sich die Finanzierung der Hochschulen am Bedarf – insbesondere also an den Studierendenzahlen – orientiert, wird in der Praxis nicht selten versucht, die Hochschulhaushalte an generelle Sparvorgaben des jeweiligen Bundeslandes zu koppeln. Und selbst vor direkten Eingriffen in Lehr- und Forschungsinhalte sind Hochschulen nicht gefreit: Erst 2014 wurde mit dem sogenannten Hochschulzukunftsgesetz in Nordrhein-Westfalen gegen die Empfehlung der HRK und gegen den Willen der Hochschulleitungen des Landes beschlossen, dem Ministerium für Wissenschaft und Forschung unter anderem das Recht einzuräumen, Studiengänge zu schließen oder Fakultäten das Promotionsrecht abzuerkennen.

Illustration: Ellen Burgdorf auf Basis von bikablo

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