Gleichstellung
Es hat sich viel getan in Sachen Gleichberechtigung. Doch gut ist nicht gut genug. Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist weniger ein Zustand als vielmehr ein Prozess. Daher bleibt noch viel zu tun  – auch in der akademischen Welt.
In der Vergangenheit waren Frauen in vielen gesellschaftlichen Bereichen benachteiligt. Sie hatten kein Wahlrecht, sie durften nicht an sportlichen Wettkämpfen teilnehmen und auch die Ausübung der meisten Berufe war ihnen verwehrt. Im Wissenschaftsbereich sah es nicht besser aus. Universitäten waren eine reine Männerwelt. Erst Ende des 19. Jahrhunderts waren Gasthörerinnen in Deutschland zugelassen und auch das passte vielen Professoren nicht. „Hunde und Damen nicht erwünscht!“ soll auf einem Schild gestanden haben, welches ein Professor an die Hörsaaltür anbringen ließ. Ob dies nur eine oft kolportierte Anekdote oder eine geschichtliche Tatsache ist, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Zu dem Zeitgeist des wilhelminischen Kaiserreiches passt diese Aussage aber allemal. Frauen wurde die intellektuelle Fähigkeit abgesprochen, ein Studium zu bewältigen. Hinzu kamen die für Frauen als unzumutbar angesehenen körperlichen Anstrengungen, die mit einigen akademischen Berufen (z. B. Arzt) verbunden sind. Offensichtlich wollten viele Männer aber auch ihre Privilegien schützen und darum Frauen aus dem akademischen Bereich fernhalten.
Als erste Studentin Deutschlands gilt Rahel Goitein, die sich im Jahr 1900 an der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg einschrieb. Das Großherzogtum Baden war der Vorreiter im deutschen Kaiserreich und ermöglichte Frauen die Immatrikulation als ordentlich Studierende. Bald folgten die anderen deutschen Gebiete und ab 1909 war Frauen das Studium im gesamten Kaiserreich erlaubt. Nach und nach bekamen die Frauen die gleichen akademischen Rechte wie die Männer eingeräumt (z. B. Habilitation 1921).
Der Anteil der Frauen unter den Studierenden stieg im Laufe der Zeit kontinuierlich an und liegt heute bei etwa 50 Prozent. Ist damit die Gleichstellung der Geschlechter im akademischen Bereich realisiert und somit alles in bester Ordnung? Keinesfalls! Studien weisen immer noch einen sogenannten Gender Gap nach. Diese Lücke in der Gleichstellung zwischen Männern und Frauen, zeigt sich, wenn man den gesamten Bildungs- und Berufsverlauf betrachtet. In Bezug auf die Schulbildung sind die Mädchen gut dabei (Noten, Anteil an Abiturienten) und im Studium ist das Geschlechterverhältnis  wie bereits erwähnt  etwa ausgeglichen. Doch die weiteren Karriereschritte im akademischen Bereich werden vor allen Dingen von Männern gegangen. Doktortitel, Habilitation, Professor / Professorin: Mit jeder Stufe des Qualifikationsniveaus sinkt der Anteil der Frauen. In der Wirtschaft zeigt sich das gleiche Bild. Führungspositionen werden vor allen Dingen von Männern besetzt. Zugespitzt formuliert gilt für Frauen: Bildung ja, Karriere nein.
Eine weitere Dimension des Gender Gaps ist die unterschiedliche Verteilung der Geschlechter in verschiedenen Fachrichtungen. Von Frauen dominiert werden vorrangig Studiengänge mit dem Schwerpunkt Gesundheit (z. B. Hebammenkunde), Soziales (z. B. Studienrichtung Kinder- und Jugendhilfe), Innarchitektur und Oecotrophologie (Hauswirtschaftslehre). Ganz offensichtlich spiegelt sich in der Studienplatzwahl die gesellschaftliche Rollenverteilung wider. Die Frau kümmert sich um das Heim, den Haushalt, die Kinder und die sozialen Beziehungen. Die Männer sind dagegen für das Auto, den Fernseher, den Computer und allen anderen technischen Kram zuständig. Gemäß diesem Rollenverständnis verwundert es auch nicht, dass sie in Studiengängen wie Elektrotechnik, Informatik, Maschinenbau und Mechatronik dominieren. Ach ja, ein männlicher Lebensbereich fehlt noch: Bier. Der Anteil der Frauen im Studiengang Brauwesen ist unterirdisch.
Der Gesetzgeber hat die Ungleichheit der Geschlechter im akademischen Bereich erkannt und bemüht sich aktiv um eine Gleichstellung von Männern und Frauen. Die Hochschulgesetze der Bundesländer formulieren in der Regel sehr explizit das Ziel der Gleichbehandlung sowohl auf der Ebene der Studierenden als auch bei den Lehrenden. In Nordrhein-Westfalen wurde eine Gleichstellungsquote in das Hochschulgesetz aufgenommen, um den Frauenanteil in der Professorenschaft zu erhöhen. Auch in anderen Bundesländern gibt es Initiativen, Aktivitäten und Förderprogramme, um den weiblichen akademischen Nachwuchs zu unterstützen. Gefragt sind auch die einzelnen Hochschulen, um das Ziel der Gendergerechtigkeit anzustreben. Zum Standardrepertoire gehören Gleichstellungsbeauftragte, die auf die faire Behandlung der Frauen achten sollen. In Bezug auf das Engagement der Frauenförderung gibt es große Unterschiede zwischen den Hochschulen. Den Ergebnissen des Gleichstellungsrankings des Kompetenzzentrums Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS) zufolge ist die FU Berlin diesbezüglich der Spitzenreiter vor der RWTH Aachen und der Uni Hildesheim.
Gesetze formulieren und Förderprogramme auflegen ist wichtig, aber nicht ausreichend. Entscheidend ist eine gelebte Kultur der Gleichstellung. Und hier kommen Sie als Student oder Studentin ins Spiel. Dies beginnt beim Verhalten im Hochschulalltag und setzt sich bei der Bereitschaft in Gremien als Vertreter / Vertreterin der Studierenden auf die Interessen der Studentinnen zu achten, fort. Weiterhin können Sie in wissenschaftlichen Arbeiten Problemstellungen bezüglich der Geschlechtergerechtigkeit bearbeiten und diese Ergebnisse nach Möglichkeit auch veröffentlichen, um auf diese Weise in die Gesellschaft hineinzuwirken und den Diskussionsprozess um Gleichstellung zu bereichern. Wenn Sie Texte formulieren, sollten Sie natürlich auf eine geschlechtergerechte Sprache achten. In langen wissenschaftlichen Texten ist dies nicht immer ganz einfach. Zumindest können Sie eine Formulierung einbauen wie „Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.“ Sie müssen ja nicht so weit wie die Universität Leipzig und Potsdam gehen, die mit der Erfindung des „generischen Femininums“ den Spieß einfach umdrehen und mit der weiblichen Form alle Personen adressieren. Diese Sprachreform führt zu dem Ausdruck „Herr Professorin“ und tut in den Ohren weh. Aber vielleicht ist auch genau das gewollt.
Illustration: Ellen Burgdorf auf Basis von bikablo.