Auch in der Forschung muss der Rubel rollen

Über den bekannten deutschen Soziologen Niklas Luhmann erzählt man sich, er habe einst eine Anfrage der Bielefelder Hochschulleitung zum finanziellen Bedarf für die Entwicklung seiner Systemtheorie mit dem knappen Vermerk „Einen Schreibtisch und dreißig Jahre Zeit“ beantwortet.

Die Jagd auf Drittmittel

Während es unbestreitbar Forschungsvorhaben gibt, für deren erfolgreiche Umsetzung man wenig mehr als Zeit und einen ruhigen Arbeitsplatz benötigt, braucht man für viele Projekte sowohl in der Grundlagen- als auch in der industrienahen Forschung doch sehr viel mehr – so etwa Personal, Laborräume, technische Geräte oder auch Reise- und Publikationskosten. Aus dem allgemeinen Hochschulhaushalt lassen sich solche Aufwendungen meist kaum finanzieren, woraus sich wiederum die Notwendigkeit für Forscherinnen und Forscher ergibt, ihre Forschungsgelder bei Dritten einzuwerben – die sogenannten Drittmittel, um deren Beantragung, Verwaltung und Verausgabung sich an Hochschulen sehr viel mehr dreht, als man es als Außenstehender vermuten würde.

bikablo Forschung

Die mit Abstand wichtigsten Drittmittelgeber sind staatliche und suprastaatliche Institutionen: Neben der EU-Kommission veröffentlichen insbesondere die Wirtschafts- und Forschungsministerien des Bundes und der Bundesländer im Wochentakt neue Förderrichtlinien, die zum Teil – wie etwa das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) des Bundes – themenoffen gestaltet, zum Teil aber auch auf ganz spezifische Forschungsfelder (Elektromobilität, Pflanzenzucht etc.) zugeschnitten sind. Weitere bedeutende Drittmittelgeber sind die von Bund und Ländern getragene Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), der primär durch Bund und EU finanzierte Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) sowie die zahlreichen Stiftungen wie etwa die Volkswagen-Stiftung oder die Klaus-Tschira-Stiftung, die sich der Förderung von Forschung und Wissensvermittlung verschrieben haben. Neben der Bewerbung um Fördergelder können Forscherinnen und Forscher in praxisorientierten Feldern die für ein Projekt benötigten Summen mitunter auch direkt bei den späteren Anwendern in Wirtschaft und Verwaltung einwerben – eine vor allem an Fachhochschulen gängige Finanzierungsform.

bikablo Mittelgeber

Ob man sich mit einer Forschungsidee auf ein bestimmtes Förderprogramm bewerben kann, erfährt man beim Studium der jeweiligen Förderrichtlinie: Passt die eigene Idee zur grundsätzlichen thematischen Ausrichtung des Förderprogramms? Sind Hochschulen alleine antragsberechtigt, oder müssen sich Partner aus der freien Wirtschaft am Projekt – und an dessen Finanzierung – beteiligen? Welche Summen kann man maximal erhalten? Bis wann muss das Projekt begonnen und abgeschlossen werden? Und welche wissenschaftlichen Vorerfahrungen müssen antragstellende Forscherinnen und Forscher mitbringen, um überhaupt realistische Chancen auf eine Förderung zu haben?

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Sind alle wesentlichen Zuwendungsvoraussetzungen erfüllt, ist als ein erster Schritt meist eine sogenannte Projektskizze einzureichen, in der das geplante Forschungsvorhaben grob dargestellt wird. Auch wenn sich die Vorgaben für den Aufbau solcher Skizzen von Förderprogramm zu Förderprogramm unterscheiden, folgen sie doch meist einem einheitlichen Muster: Ausgehend von einem zu lösenden Problem oder einer zu beantwortenden Forschungsfrage wird zunächst der Stand von Wissenschaft und Technik zusammengefasst und anschließend der im geplanten Projekt zu verfolgende, neuartige Lösungsansatz vorgestellt. Auf eine Darstellung der Projektpartner und ihrer Kompetenzen folgen dann die Formalien: Arbeits-, Zeit- und Finanzpläne sowie Aussagen zu bestehenden und noch zu beantragenden Schutzrechten. Die meisten Förderskizzen schließen mit einer kurzen Betrachtung der mit dem Projekt verbundenen finanziellen und technischen Risiken sowie einem Ausblick auf die Nutzung der Projektergebnisse oder die Fortsetzung der Projektarbeit über den Förderzeitraum hinaus. Prosaisch betrachtet, hat eine gute Förderskizze durchaus „Romanqualität“ und folgt sogar einem romanhaften Spannungsbogen; erzählt sie doch die Geschichte eines relevanten Problems, das durch ein qualifiziertes Team mit einem innovativen Ansatz gelöst werden soll.

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Wird eine solche Skizze positiv beschieden, ist im zweiten Schritt der eigentliche Förderantrag zu verfassen, der bei den meisten Programmen aber nur noch aus umfangreichen Finanzierungs- und Arbeitsplänen sowie der Erarbeitung von Vertrags- und Regelwerken für die auskömmliche Zusammenarbeit der Projektpartner besteht. Erhält eine Antragstellerin oder ein Antragsteller einen Förderzuschlag, kann das Forschungsprojekt starten, wobei sämtliche im sogenannten Zuwendungsbescheid durch den Mittelgeber festgelegten Regeln genauestens einzuhalten sind, da sonst im Zuge späterer Kontrollen schmerzhafte Rückzahlungen drohen. Während die Chancen auf eine erfolgreiche Förderung bei den meisten Bundes- und Landesprojekten bei rund 20% liegen, scheitern fast 95% aller Förderanträge an die EU – der Einstieg in ein aufwändiges Antragsverfahren lohnt sich daher nur, wenn man auch eine wirklich passgenaue und innovative Idee vorweisen kann.

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Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass viele Forscherinnen und Forscher die hier beschriebenen Mechanismen der Forschungsförderung durchaus kritisch betrachten. Zu den häufig angeführten Kritikpunkten gehört unter anderem die schleichende Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen in der Forschung: In Forschungsprojekten befristet beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fehlt meist jegliche Planungssicherheit über den eng begrenzten Projekthorizont hinaus, weshalb nicht selten große Teile der eigentlichen Projektarbeitszeit darauf verwendet werden, Nachfolgeanträge zur Aufrechterhaltung der eigenen Beschäftigung zu erarbeiten.

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Sogar die grundsätzliche Effektivität der Bestenauswahl per Antragsverfahren wird mittlerweile bezweifelt: Eine vielbeachtete Untersuchung der European University Association (EUA) kam 2016 zu dem Schluss, dass auf jeden im EU-Forschungsrahmenprogramm HORIZON 2020 an europäische Hochschulen ausgereichten Euro an Forschungsförderung rund 50 Cent kommen, die hochschulintern für die Erarbeitung erfolgreicher sowie auch abgelehnter Förderanträge aufgewendet werden. An unseren Hochschulen werden zwischen 2014 und 2020 also rund 40 Milliarden Euro ausgegeben werden, um die 80 Milliarden Euro an für den gleichen Zeitraum zur Verfügung stehenden HORIZON-Fördermitteln zu beantragen. Der von der EUA vorgeschlagene Lösungsansatz für dieses Problem, dürfte für antragsgeplagte Projektmitarbeiter übrigens durchaus einigen Charme haben: Eine Förderlotterie, bei der alle formal korrekten und fachlich geeigneten Anträge in eine Trommel geworfen und die zu fördernden Vorhaben anschließend per Zufall bestimmt werden.

In diesem Sinne: Hals- und Beinbruch bei der Drittmittelbeantragung.

Illustration: Ellen Burgdorf auf Basis von bikablo

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