In meinem Buch „Strategisches Life Management“ zeige ich, etwas ausführlicher als in diesem Blog, anhand des Schicksals des Polarforschers Robert F. Scott, wie leicht Erfolgsfaktoren zu Erfolgskillern werden können.
Scott und Amundsen sind Ausnahmepersönlichkeiten
Januar 1912: Scott und seine Kameraden haben den Südpol erreicht – aber sie sind nicht mehr die ersten. Ihr Rivale Raold Amundsen ist ihnen rund einen Monat zuvorgekommen. Am Pol weht jetzt die norwegische Flagge. Angesichts dieser Niederlage verzweifelt und bereits völlig entkräftet, tritt die Gruppe den 1.300 km langen Rückweg zur Basisstation an. Drei Monate später sterben Scott und seine Begleiter an Hunger, Erschöpfung und Unterkühlung, nur ein paar Kilometer von einem Materialdepot entfernt. Scott und Amundsen gelten mit Recht als Ausnahmepersönlichkeiten, als Helden. Nur wenige verfügen über einen derart unbeugsamen Willen, an Zielen trotz aller Widerstände festzuhalten. Scheitern ist nicht vorgesehen.
Die vier Hauptfaktoren des Erfolgs
Auch wenn es im Beruf nicht um die ganz großen existenziellen Herausforderungen geht: Wer den Aufstieg will, braucht Biss. Persönlichkeitsforscher nennen als Voraussetzung für Erfolg vier Hauptfaktoren:
- Zielstrebigkeit (Ehrgeiz)
- Beharrlichkeit (Ausdauer)
- Leistungsfähigkeit (Können)
- Leistungsbereitschaft (Wollen).
Sind die vier Erfolgsfaktoren sehr schwach ausgeprägt, dürfte der Erfolg ausbleiben, oder er wäre bestenfalls ein Zufallsprodukt glücklicher Umstände. Schauen wir uns die Erfolgsfaktoren etwas genauer an, erkennen wir, dass diese positiv klingenden Faktoren gefährliche Ausprägungen annehmen können:
- Besessenheit (statt Zielstrebigkeit)
- Starrsinn (statt Beharrlichkeit)
- Überheblichkeit (statt Leistungsfähigkeit) und
- Überforderung (statt Leistungsbereitschaft).
Derartige zu Erfolgskillern mutierte Erfolgsfaktoren haben schon viele Karrieren zerstört und, wie im Fall von Robert F. Scott, auch Leben.
In seinem Tagebuch macht Scott die Wetterbedingungen und andere Misslichkeiten für das Scheitern seines Südpolmarsches verantwortlich und attestiert sich und seinen Kameraden „Kühnheit, Ausdauer und Mut“. Eigenes Verschulden erkennt er nicht: „An unserem Unheil trägt nicht mangelhafte Vorbereitung Schuld, sondern Missgeschick.“
Scott scheiterte an sich selbst
Die Heldenverehrung Scotts begann erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts einer differenzierteren Betrachtung zu weichen. 1966 wurde in einer Scott-Biographie dem Polarforscher erstmals persönliches Fehlverhalten vorgeworfen. Von da an sind fast ausschließlich negative Enthüllungen über Scott bekannt geworden: „niederschmetternde Beweise von Pfuscherei“, „planlose und fehlerhafte Expeditionsvorbereitung“, „Egomanie und Eitelkeit“, „Führungsstil ohne Weitblick“ – alles authentische Zitate von Zeitzeugen, Wissenschaftlern und Forschern. Von der Eigenverantwortung für die Katastrophe kann demnach Robert Scott nicht freigesprochen werden. (Seinem Ruhm tat dies allerdings keinen Abbruch.)
Gibt es Lehren, die man aus dem tragischen Scheitern Scotts für die Karriereplanung ziehen kann? Hauptursachen für die fatalen Fehler waren die vier eingangs erwähnten heimtückischen Erfolgskiller: Besessenheit, Starrsinn, Überforderung und Überheblichkeit. Selten sind diese Faktoren derart extrem ausgeprägt wie bei Scott. Dennoch ist man gut beraten zu überprüfen, ob man bei ambitionierten Vorhaben nicht zumindest tendenziell derartige Anwandlungen verspürt, die einen stürzen lassen könnten. Andererseits: Ohne die Erfolgsfaktoren Zielstrebigkeit, Beharrlichkeit, Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft sind große Ziele nicht zu erreichen. Visionen bleiben sonst Illusionen.
Motivation muss von innen kommen
Es kommt auf das richtige Maß an. Das gilt insbesondere die Leistungsbereitschaft – die Motivation: Die Worte „Ich will!“ sind für Erfolge der Treibstoff, ohne den sich nichts bewegt. Sie sind jedoch Sprengstoff, wenn wir unsere Möglichkeiten überschätzen. Wollen allein reicht nicht, leider. Für erfolgreiche Veränderungsprozesse bedarf es u. a. auch des Könnens. Von entscheidender Bedeutung ist zweifellos aber die Motivation – und die hängt von fünf Faktoren ab:
- Entschlossenheit – Ich will mein Ziel anpacken; ich will den Weg gehen. Und zwar nicht morgen oder übermorgen, sondern heute.
- Leidenschaft – Ich habe eine positive Vision von dem, was ich erreichen will. Ich bin mit dem Herzen bei der Sache.
- Fokussierung – Meine volle Aufmerksamkeit ist auf den Veränderungsprozess gerichtet. Ich lasse mich nicht ablenken.
- Disziplin – Ich verfolge mein Ziel und lasse mich von Rückschlägen nicht entmutigen. Ich werde durchhalten.
- Emotionale Aktivierung – Ich lasse meine Phantasie spielen und halte mir den Nutzen des Veränderungsprozesses bildhaft vor Augen.
Für alle fünf Faktoren sind wir selbst verantwortlich. Motivation von außen (Statusanreize, Geldprämien, Belobigungen, Drohungen o. ä.) wirkt erfahrungsgemäß nur begrenzt und ist selten von Dauer.
Natürlich gibt es Menschen, denen aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur Veränderungsprozesse leichter fallen als anderen. Doch häufig stecken hinter der Klage über die eigene vermeintliche Willensschwäche Bequemlichkeit oder Angst.
„Mögen hätt‘ ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut“, witzelte in den dreißiger Jahren der Kabarettist Karl Valentin: Etwas Großes erreichen zu wollen und nicht den Mumm dazu zu haben, frustriert und nagt am Selbstwertgefühl.
Angst kann lähmen – oder uns schützen
Angst gehört nicht ohne Grund zum genetischen Programm des Menschen. Sie kann uns davor bewahren, in gefährliche Situationen blind hineinzustolpern. Und sie hilft uns, Herausforderungen mit dem erforderlichen Respekt anzunehmen. Angst hat also, sofern sie uns nicht lähmt, eine positive Seite. Unkalkulierbare Risiken ohne Not einzugehen, zeugt von Übermut, nicht von Mut. Moderne Abenteurer wie der Survivalexperte Rüdiger Nehberg oder der Bergsteiger Reinhold Messner würden vermutlich abstreiten, dass ihre Wüsten-, Dschungel- oder Gipfelexpeditionen die Art von Abenteuern darstellt, deren Ausgang höchst ungewiss ist. Sie sind exzellent vorbereitet und überlassen nichts dem Zufall. Scheint ihnen das Restrisiko zu groß, blasen sie ihr Vorhaben ab. Und planen neu.
Stolpersteine erkennen und vermeiden
Wer hochgesteckte Ziele erreichen will, braucht Mut, Leidenschaft und die Bereitschaft, eigene Einschätzungen und Entscheidungen selbstkritisch zu hinterfragen. Der Weg zum Ziel ist voller Stolpersteine. Mit die größte Gefahr ist Überheblichkeit, gepaart mit Ignoranz. Robert F. Scott ist daran gescheitert wie auch so manche heutigen Management-Lichtgestalten, die Opfer ihrer Selbstüberschätzung geworden sind.
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