Obacht! – Die Kompetenzillusion

Sich von einer Illusion einnebeln zu lassen, kann sich rächen. Besonders beim Lernen. Da droht die Kompetenzillusion. Doch soweit muss es nicht kommen. Dieser Beitrag bewahrt vor Schlimmerem.

Jura ist schon eine etwas vertrackte Angelegenheit: Auf der einen Seite gibt es eine Masse an Lernstoff, den es zu bewältigen gilt (wie das schrittweise gelingen kann, ist zum Beispiel im Beitrag zum Chunking nachzulesen). Andererseits machen viele Studierende im Laufe ihres Studiums auch die Erfahrung, dass der Lernstoff gar nicht so schwer zu verstehen ist. Meist lässt er sich gut nachvollziehen. Und genau hier liegt ein echtes Problem: Man hat einen „Aha!-Effekt“ und glaubt, etwas verstanden zu haben. Und ist dann umnebelt von der Kompetenzillusion!

Wer beim Lernen erfolgreich sein will, sollte sich der Gefahr dieser Kompetenzillusion bewusst sein. Der offensichtlichste Vorteil für dieses Bewusstsein liegt auf der Hand: Die Kompetenzfalle schnappt nicht zu. Und es gibt weitere Pluspunkte:

  • Man gelangt vom passiven ins aktive Lernen
  • Erfolgskontrollen lassen sich gezielt nutzen
  • Die Lernstrategie lässt sich anpassen
Nichts ist leichter als Selbstbetrug, denn was ein Mensch wahrhaben möchte, hält er auch für wahr. (Demosthenes)

Was Studien verraten

Die US-amerikanischen Forscher Jeffrey D. Karpicke, Andrew C. Butler und Henry L. Roediger III haben einmal näher das Lernverhalten von Studierenden untersucht[1]. Ein Ergebnis, dass sie dabei ausgemacht haben: Viele Studenten unterliegen während ihres Studiums eben dieser Kompetenzillusion (illusions of competence).

Am weitesten verbreitet ist die Kompetenzillusion in der Form, dass Inhalte aufgenommen werden und man glaubt, man habe sie dadurch bereits verinnerlicht. Das ist aber keineswegs der Fall. Wenn man einen Lernstoff wirklich beherrschen möchte, dann müssen die Informationen im Gehirn verankert werden.

All das hat erhebliche Folgen für das Lernverhalten, und zwar sowohl im negativen wie im positiven Sinne. Im negativen Sinne bedeutet es: Wer in einer solchen Kompetenzillusion verhaftet ist, wird sich schwer damit tun, das eigene Lernverhalten zu reflektieren und anzupassen. Warum auch? Es besteht ja scheinbar gar keine Notwenigkeit dafür. Wer sich dagegen der Gefahr der Kompetenzillusion bewusst ist, hält einen wertvollen Schlüssel zum Lernerfolg in der Hand.

Kompetenz entwickelt sich in mehreren Stufen. Es gibt ein interessantes Modell, das in vier Stufen von der Inkompetenz zur Kompetenz führt. Wer mehr dazu wissen möchte: Einen ersten Überblick erhält man in der Wikipedia unter dem Stichwort “Kompetenzstufenentwicklung“.

Kompetenzillusion und Jura

Auch wenn die Forscher die Kompetenzillusion nicht speziell mit Blick auf das Fach Jura untersucht haben, besteht die Gefahr, in die Kompetenzfalle zu tappen, dort gleich mehrfach. Hier zwei Beispiele:

Beispiel 1: Kompetenzillusion und Studienliteratur

Jura zu studieren heißt auch, sich mit unterschiedlichen Arten von Studienliteratur zu beschäftigen. Das können beispielsweise Lehrbücher, Skripte oder Fachbeiträge aus der Ausbildungsliteratur sein. Vieles davon sind inhaltlich und didaktisch exzellent aufbereitet. Allerdings birgt das als Kehrseite eben auch die Gefahr der Kompetenzillusion, wenn die Inhalte leicht zu verstehen sind.

Beispiel 2: Kompetenzillusion und Fallbearbeitungen

Noch deutlicher kann sich die Kompetenzillusionen bei Fallbearbeitungen zeigen. Es ist halt etwas komplett anderes, einen Fall selbst aktiv zu lösen oder aber eine vorgegebene Lösung nur passiv nachzuvollziehen. Im letzteren Fall redet man sich vielleicht ein „Ach klar! So geht’s also. Yep! Das ist gut nachvollziehbar!“. Doch genau das kann der erste Schritt in die Illusionsfalle sein: Man meint, etwas verstanden zu haben, weil es vielleicht gut nachzuvollziehen ist. Aber dadurch ist nicht viel gewonnen. Die Lösung ist ja nicht von einem selbst. Damit sind der Erkenntnisgewinn und der Lernerfolg eher dürftig.

Wege aus dem Dilemma

Was können also Wege aus dem Dilemma sein? Sie liegen eigentlich auf der Hand. Der wichtigste Schritt ist zunächst einmal die Einsicht, nicht schon dadurch etwas gelernt zu haben, weil man etwas liest oder in einer Vorlesung aufschnappt. Gerade dann, wenn das Gelesene oder Gehörte gut nachvollziehbar sind, sollten sämtliche Alarmglocken schrillen. Denn nur durch die passive Aufnahme fremder Inhalte durch Lesen oder Hören sind diese Inhalte nicht gleich im Gehirn verankert.

Wie kann man sich also behelfen? Es geht vor allem darum, aus dem Passiv-Karussell auszubrechen und in das aktive Lernen zu kommen! Hier drei Tipps:

  • Kerngedanken festhalten! Halten Sie beim Umgang mit Studienliteratur Kerngedanken des Gelesenen in eigenen Worten schriftlich (!) fest! Beschränken Sie sich auch bei Unterstreichungen auf solche Kerngedanken.
  • Selbst machen! Bemühen Sie sich speziell bei Falllösungen stets, einen Lösungsweg zunächst selbst zu erarbeiten. Vergleichen Sie erst anschließend die eigene Lösung mit einem Lösungsvorschlag!
  • Kleine Erfolgskontrollen einbauen! Stellen Sie sich immer wieder eigene Kontrollfragen als kleine Erfolgskontrollen. Sind Sie tatsächlich in der Lage, das Gelesene oder Gehörte in eigenen Worten wiederzugeben? Erinnern Sie sich noch? Solche Kontrollfragen können Sie übrigens an den Rand Ihrer Studienliteratur schreiben. Der schöne Nebeneffekt: So entsteht im Laufe der Zeit ein eigenes kleines Kompendium mit Fragen und Antworten.

Tipps für die Lernstrategie

Das Bewusstsein für die Gefahr der Kompetenzillusion ist für den Lernerfolg entscheidend: Tatsächlich trennt sich hier häufig die Spreu vom Weizen! Wer sich dieser Gefahr bewusst ist und sich immer wieder auf Neue bemüht, aus dem Passiv-Karussell auszubrechen, ebnet den Weg zum Lernerfolg. Nehmen Sie daher jede Möglichkeit wahr, in den Aktivmodus umzuschalten, wenn es um das Lernen geht. Viele Beiträge hier im Jura Survival Guide drehen sich genau darum und können dabei helfen, der Verständnisfalle zu entrinnen. Dazu gehören beispielsweise die Cornell-Methode beim Erstellen von Notizen oder auch das Lernen mit Karteikarten.

Erfolgsmomente

  • Die Zügel in den Händen behalten
  • Sich nicht blenden lassen
  • Dem Erfolg auf die Sprünge helfen 

Auf einen Blick

Auf einen Bick: Obacht! Die Kompetenzillusion

Gibt es eigene Erfahrungen mit der Verständnisfalle? Du kennst andere, denen die Anregungen nützen können? Dann teile den Beitrag mit Freunden.


[1] Ein Beitrag zur Studie ist hier nachzulesen. Karpicke, Jeffrey D., Butler, Andrew C. and Roediger III, Henry L.(2009): Metacognitive strategies in student learning: Do students practise retrieval when they study on their own?, Memory, 17:4, 471 — 479

About The Author

2 Kommentare zu „Obacht! – Die Kompetenzillusion“

  1. Ein gutes Beispiel, dieses Jura.- –
    /Aber nehmen wir doch mal den Bereich “Lebensplanung”.
    /
    /Was tun, wenn sich herausstellt, dass man sein gesamtes eigenes Leben praktisch falsch geplant hatte ? Und jetzt ist man aber bereits 55 Jahre alt, als man dies erkennt.
    /
    /Tja, Scheibenkleister, was ?
    /
    /Grüsse Igor, Dipl.-Soz.wirt

  2. Na das ist doch voll klar: jeder für sich – alleine vor seinem Rechner – bestenfalls verbunden mittels “Zoom” – einmal pro Monat – Lebensmittel per Boten – Gedankenaustausch elektronisch – Geldwirtschaft infolge diverser Konkurse abgeschafft – Plastikkartenverrechnung – tägliche Beobachtung durch Kameras – Vergabe von Bonuspunkten bei Wohlverhalten – Isolation und Nahrungsentzug bei Fehlverhalten – schöne neue Welt

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 

Hinweis: Die Markierung der Checkbox ist kaum zu erkennen. Falls der Kommentar nicht abgeschickt werden kann, bitte nochmals anklicken. 

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und akzeptiert.

Scroll to Top